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Einblick |
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Zu: Schillers Geisterseher (1) |
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Zu Schillers „Geisterseher", 1
Um die Hintergründe von Schillers Werk „Der Geisterseher" nicht bloß zu erkennen, sondern auch in den großen Zusammenhängen zu sehen und richtig zuzuordnen, ist zunächst auf eine Inspiration hinzuweisen, auf deren Auslöser wir jetzt nicht näher eingehen möchten, da dies gerade allzu sehr in Mode ist: Adam Weishaupt und die Illuminati (über dieses Thema werden wir noch ausführlich für sich sprechen). Sicher nicht zufällig aber begann Schiller seinen „Geisterseher" in einer Zeit, in der Adam Weishaupt enttarnt und verboten wurde. Weishaupt mußte die Flucht antreten. Viele meinten schon damals, Weishaupt habe sich in die „Neue Welt" begeben, nach Amerika, um von dort aus weiter zu wirken. Unterdessen sei in Deutschland ein Doppelgänger für ihn aufgetreten. Einen solchen Mann, der zwar kein Doppelgänger Weishaupts war, aber diesem doch verblüffend ähnlich sah, hat es tatsächlich gegeben. Schon zu jener Zeit also rankten sich Legenden und Mythen um die Illuminati des Adam Weishaupt sowie, insbesondere, um sein Konzept eines Geheimbunds, welcher mit allen möglichen Mitteln aus dem Hintergrund die Fäden des Weltgeschehens ziehen sollte, undurchschaubar für nicht eingeweihte Menschen. Im Jahre 1784 erörterte Schiller mit seinem Freund Christian Gottfried Körner, ob es sinnvoll sei, einer Freimaurerloge beizutreten, wie es ihm angetragen worden sei. Körner, der den Illuminaten angehörte, sprach gegen die Freimaurer und riet Schiller, den Illuminati beizutreten, wobei er enthüllte, selbst Mitglied dieses Geheimbunds zu sein. Allein das bald darauf erfolgte Verbot verhinderte, daß Schiller den Illuminati noch beitreten konnte (wie es inzwischen z.B. Goethe und Herder noch getan hatte). Schillers Sympathie dürfte jedoch eindeutig Weishaupts Illuminaten gehört haben. Dieses Grundmotiv: der unsichtbar wirkende Geheimbund, welcher womöglich sogar über magische Mittel verfügte, ist auch die Basis des „Geistersehers". Wir wissen nicht zuverlässig, wann er mit der Materialsammlung für dieses Buch begann. Der erste Teil erschien jedenfalls 1787. Und wenn Schiller in seinem „Geisterseher" vieles bloß durch Abkürzungen darstellt, die meisten Personennamen wie auch die mancher Orte also nicht nennt, so ist das gewiß nicht einfach Effekthascherei. Vielmehr sollte wohl einer bestimmten Leserschaft damit etwas signalisiert werden. Nicht willkürlich gewählt ist bestimmt auch der Schauplatz Venedig. Schiller wußte, daß in dieser Stadt, in der noch ein paar Jahrhunderte früher mächtigen Republik Venedig, eine geheime Gemeinschaft existiert hat, die weitreichende Ziele verfolgte, und die eine spezielle Verbindung mit Deutschland besaß. Dieser italienische Geheimbund, der zu Schillers Zeit nicht mehr war, was er einmal gewesen ist, dürfte ihn sehr fasziniert haben. Auf alle Fälle bei seinen Recherchen zu „Don Karlos" sowie seinem Werk „Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung", hatte Schiller eine Spur gefunden, die nach Venedig wies und damals bedeutsam war: einen Geheimbund, welcher sich Ordo Imperio Nuovo oder auch Bucintoro nannte. Schiller verwendet dafür im „Geisterseher" eine französische Schreibweise, was, wie er gewiß wußte, historisch nicht richtig war, aber dem entsprach, was zu seiner Zeit beim Adel üblich war, nämlich sich des Französischen zu bedienen; und „der Geisterseher" ist ja ein Briefroman. Wir werden darauf aber an geeigneter Stelle noch näher einzugehen haben. Aufgrund dessen, das der Geheimbund OIN / Bucintoro versucht hat, auf die Habsburger - das deutsche Kaiserhaus - einzuwirken, waren die politischen Ambitionen offenkundig, Es gelang dem Bucintoro-Orden auch tatsächlich, eine gute Verbindung zu Kaiser Rudolph II. zu schaffen, zu dessen Nachfolgern jedoch nicht mehr. Immerhin war Venedig (ohnehin attraktiv), damit der geeignete Schauplatz für eine Geschichte, deren Handlung geheimbündische Tätigkeit war, wobei ein deutscher Prinz und eine geheimnisvolle schöne Frau auf der Insel Murano Hauptrollen spielten. Auf der Insel Murano hatte ja einst der Bucintoro-Orden seinen geheimen Hauptsitz gehabt, weshalb dieser Schauplatz wiederum bei Schiller sicher kein Zufall ist. Sowohl die Illuminati Weishaupts wie auch der OIN/Bucintoro vertraten in Glaubensangelegenheiten einen an die Gnostiker erinnernden Deismus, welcher gleichsam die Weltanschauung und die politischen Ziele beeinflußt hat. Abermals zeigen sich also Übereinstimmungen, auch wenn diese – bei genauer Betrachtung – doch nicht ganz und gar deckungsgleich sind. Ehe wir nun wieder zu einigermaßen griffigen Punkten zurückkehren können, ist ein kurzer Ausflug in bloße Spekulation angeraten. Uns ist kein Hinweis darauf bekannt, daß Schiller Informationen über jene Hintergründe des Bucintoro-Ordens besessen hätte, welche bis in das deutsche Mittelalter zurückführen. Da aber später ein anderer Dichter, nämlich E.T.A. Hoffmann, auf diese stieß, ist es wohl durchaus denkbar, daß auch Friedrich von Schiller diese Spur fand. Dieser Punkt ist möglicherweise wichtig bei der Definition der sonderbaren Figur des „Armeniers", bzw. des Mannes in der Karnevalsmaske eines Armeniers, welcher bald auch als „russischer Offizier" im Roman auftritt, ohne aber Russe oder Armenier zu sein. Im allgemeinen bezeichnet Schiller diesen unheimlichen Mann aber als den „Armenier", und dieser Mann soll fraglos ein führender Vertreter des nie genau bezeichneten Geheimbunds sein, der hinter allem Geschehen zu spüren ist. In anderen Definitionsversuchen zu Schillers „Geisterseher" wird überwiegend angenommen, mit dem geheimnisvollen Lenker der Ereignisse sei eine überhöhte Darstellung des Adam Weishaupt gemeint – oder, sofern nicht dieser selbst, eine Person des Illuminaten-Ordens, welche seinen Willen vollzieht. Vieles kann dafür sprechen, daß diese Sichtweise die richtige ist. Wäre nicht „Die Erzählung des Sizilianers", welche mit gutem Grund in die Romanhandlung eingeschoben steht, so würde die Definition Adam Weishaupt, oder einer seiner Illuminati, mit hoher Wahrscheinlichkeit die zutreffende sein (daß es sich so verhält, dafür spricht auch die noch auftretende Figur des Marchese Civitella, welche höchstwahrscheinlich den jüngsten Sohn des Marchese di Constanzo meint, welcher ein Freund Weishaupts war). So aber bietet sich noch eine andere Möglichkeit an, auf die wir kommen werden, wenn es so weit ist. Dann wird sich auch wenigstens eine schlüssige Möglichkeit dafür zeigen, warum Schiller ausgerechnet die Bezeichnung „der Armenier" gewählt hat. Mit dem schon erwähnten Sizilianer ist eindeutig Philipe Balsamo gemeint, der Graf Alessandro di Cagliostro. Daran kann kaum ein Zweifel bestehen. Und es ist kennzeichnend für Schillers Konzept in dem Roman, durch Endlarven des nur vermeintlich Unerklärlichen die Wirklichkeit des wahrhaftig Unbegreiflichen zu unterstreichen. An diesem Punkt trennt sich gewissermaßen der Weg von den Illuminati und wechselt zu der Denkart des alten, des ursprünglichen Bucintoro-Ordens. Bei der weiblichen Hauptfigur stellen sich wieder gleich mehrere Rätsel. Schiller verwendet abermals eine Nationalität als Bezeichnung, ohne diese zu meinen. Er nennt die rätselhafte schöne Frau, welche auf der Insel Murano lebt, eine „Griechin" – dies aber immer mit einem „vielleicht" hinzugefügt. Es geht also auch bei ihr – wie bei dem „Armenier"/„russischen Offizier" nicht um eine bestimmte Nationalität an sich. Die „Griechin" in Schillers Roman ist blond. Das scheint dagegen zu sprechen, daß mit ihr ein Erscheinen der „unsterblichen Julietta" des Bucintoro-Ordens gemeint sei, denn diese war erwiesener Maßen brünett. Kann das eine mit voller Absicht vorgenommene Veränderung in der Beschreibung dieser Frau sein? Darauf werden wir später noch kommen. Auffallen muß bei der Schilderung dieser geheimnisvollen Frau auf alle Fälle, daß ausdrücklich ihre besonders langen und breiten Haarflechten beschrieben werden. Zu jener Zeit waren sehr lange Haare bei Frauen das Übliche. Es brauchte also nicht ohne Grund so hervorgehoben zu werden. Bei von anderen Seiten stammenden Beschreibungen der Julietta geschieht das allerdings auch. Deren selbst für ihre Zeit ungewöhnlich langen und reichen Haare werden mehrfach ausdrücklich erwähnt – die idealen Haare einer Frau für magische Zwecke. Ist mit der „schönen Griechin" also doch eine Wiederverkörperung der Julietta gemeint? Oder doch eher eine Variation auf diese Figur? Auch dem werden wir bei Fortschreiten der Handlung noch näher kommen. Auch Julietta hatte bekanntlich eine äußerst enge Verbindung zu einem deutschen Prinzen! Doch zu der bis jetzt wiedergegebenen Geschichte vom „Geisterseher" haben wir erst ein paar Grundsätzlichkeiten zu definieren. Das betrifft aber natürlich die Hauptperson des deutschen Prinzen, welche insofern Hauptperson ist, wie sie das Handeln aller anderen auf sich lenkt. Und da stellt sich die Frage: Ist der deutsche Prinz ein bestimmter – beziehungsweise: steht er für eine bestimmte Person? – oder dient er lediglich dem Dichter als quasi lebendiges Demonstrationsobjekt für das, was Geheimbünde unternehmen, um ihre weitgesteckten Ziele zu erreichen? Aber, wie gesagt, noch stehen wir im Anfangsteil der Geschichte vom „Geisterseher". Je weiter sie fortschreitet, umso mehr wird zu ihr zu sagen sein – dann auch rückschauend auf die ersten Blätter, wenn deren mehrschichtiger Sinn sich enthüllbar macht. In der nächsten CN-Ausgabe werden wir also erst einmal den nächsten Teil von Schillers Roman präsentieren.
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