In einer solchen "Ionen-Falle" wollen
Physiker einen Zeitkristall erzeugen.
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Hartmut Häffner / simonsfoundation.org
Cambridge (USA) - Wissenschaftler um den
Physik-Nobelpreisträger Frank Wilczek wollen im Innern einer Ionen-Falle
einen sogenannten "Zeitkristall", also ein Objekt erzeugen, das
sich - ähnlichem etwa einem Uhrenzeiger - in einem sich stets
wiederholenden Muster bewegt, ohne dabei Energie zu benötigen geschweige
denn aufzubrauchen. Im Gegensatz zu Uhren oder anderen Objekten, beziehen
Zeitkristalle ihre Bewegung jedoch nicht aus gespeicherter Energie sondern
durch einen Bruch in der Symmetrie der Zeit, was ihnen einen besondere
Form der unaufhörlichen, perpetuierlichen Bewegung ermöglicht.
Bereits im Februar 2012 hatte Wilczek seine ungewöhnliche Idee erstmals
öffentlich erklärt: "Der Grossteil der Forschung auf dem Gebiet der
Physik besteht aus einer Weiterführung von Dingen, die bereits erfolgt
sind". Sein Plan hingegen sei in der Tat, "etwas
unkonventionell", so der Professor am angesehenen Massachusetts
Institute of Technology (MIT).
Und tatsächlich stoßen Wilczeks Idee und Pläne in der
Wissenschaftsgemeinde seither eher auf gedämpfte Reaktionen: Zwar gilt
Wilczek als brillanter Physiker, dessen exotische Ideen nicht zum ersten
Mal später Einzug in die Mainstream-Wissenschaft gehalten haben (darunter
die Existenz von Axionen und Anionen und der Entdeckung der sogenannten
asymptotischen Freiheit in der Theorie der Starken Wechselwirkung, für
die er 2004 gemeinsam mit David Gross und David Politzer den Nobelpreis
für Physik erhielt), doch perpetuierliche Bewegung gilt den meisten
Naturwissenschaftlern aufgrund der fundamentalen physikalischen
Wechselwirkungen als unmöglich.
Dank des technologischen Fortschritts sehen sich Physiker nun jedoch in
der Lage, sowohl Wilczeks naturwissenschaftlich unorthodoxe Theorie zu
überprüfen und damit zugleich auch die Frage zu beantworten ob seine
Vision eine sensationelle wissenschaftliche Sensation darstellt oder - wie
seine Kritiker ihm dies vorwerfen - auf falscher Logik basiert.
Natürlich
funktioniert nicht immer alles, was ich andenke!"
Der
Physik-Nobelpreisträger Frank Wilczek.
Copyright/Quelle: Frank
Wilczek / simonsfoundation.org
Die Wissenschaftler um Wilczek planen nun, einen solchen Zeitkristall zu
erzeugen. Allerdings nicht in der Hoffnung, dass mit einem solchen
Perpetuum mobile eine unerschöpfliche Energiequelle gefunden wird
sondern, um damit die Theorie der Zeit selbst besser zu verstehen.
Grundlage des theoretischen Konzepts von Zeitkristallen war für Wilczek
die Frage, wie sich Kristalle statt im bekannten Raum in der Zeit
verhalten.
Wenn Materie kristallisiert, so organisieren sich ihre Atome spontan
selbst in Reihen, Säulen und Stapeln eines dreidimensionalen Gitterwerks.
In diesem sogenannten Kristallgitter nimmt je ein Atom einen Gitterpunkt
ein, während das Gleichgewicht zwischen den Atomen verhindert, dass sie
den Raum zwischen den Gitterpunkten beanspruchen. Weil nun die Atome also
plötzlich eine voneinander getrennte und nicht mehr gemeinsame Ortswahl
haben, spricht man davon, dass sie die räumliche Symmetrie der Natur
aufbrechen, in der für gewöhnlich alle Orte im Raum gleich sind.
Doch wie verhält es sich mit der zeitlichen Symmetrie der Natur, nach der
sich gleich bleibende, feste Objekte auch immerfort derart verhalten
sollten?
Nach monatelanger theoretische Arbeit kam Wilczek auf Gleichungen, die
darauf hindeuten, dass Atome tatsächlich in der Zeit ein sich
regelmäßig wiederholendes Gitternetzwerk bilden, innerhalb dessen sie -
nach bestimmten eigenständigen satt gemeinsamen - Intervallen ihre
ursprüngliche Anordnung einnehmen und dadurch,
ganz wie im Raum die
räumliche-, in der Zeit jedoch die Zeit-Symmetrie aufbrechen.
Bei diesem Vorgang wird keinerlei Energie verbraucht aber - leider - auch
keinerlei Energie erzeugt. Zeitkristalle währen in ihrem physikalischen
Grundzustand also stabil, wiesen aber zyklische Variationen in ihrer
Struktur auf, die durchaus als perpetuierliche Bewegung interpretiert und
definiert werden können.
"Für einen Physiker ist die Vorstellung des Konzepts eines
zeitabhängigen Grundzustands wirklich ziemlich verrückt",
kommentiert denn auch der Quantenphysiker Hartmut Häffner von der
University of California in Berkeley. "Die Definition eines
Grundzustands ist der, dass Energie gleich Null ist. Wenn aber dieser
Zustand zeitabhängig ist, so legt das nahe, dass sich die Energie
verändert oder sich etwas anderes verändern muss. Irgendetwas muss sich
bewegen."
Etwas,
das sich bewegt und sich für immer gleich bleibend fortbeweget, ohne
dabei Energie zu verbrauchen, widerspricht jedoch allen bekannten und
allgemein anerkannten Gesetzen der Physik. Dennoch überstanden Wilczeks
Fachartikel und Paper über Quanten- und klassische Kristalle bislang alle
Expertenbegutachtungen, nicht zuletzt im Fachjournal "Physical Review
Letters" im Oktober 2012.
Während Wilczek bislang noch nicht vorherberechnen konnte, ob Objekte,
die die Zeit-Symmetrie aufbrechen, auch tatsächlich in der Natur
existieren, will er seine Theorien in Form von Experimenten nun in die Tat
umsetzten und ein solches Objekt selbst erzeugen, berichtet die
"Simons Foundation" die sich dem Fortschritt in Mathematik und
der grundlegenden Wissenschaften verschrieben hat.
Schon im vergangenen Juni (2012) hatten Physiker um Xiang Zhang von der
University of California in Berkeley die Herstellung eines Zeitkristalls
in Form eines sich stets drehenden Ringes aus geladenen Atomen oder Ionen
vorgeschlagen – eine Idee, die ein internationales Forscherteam um Zhang
und Häffner in Berkeley nun in die Tat umsetzen will und hierfür derzeit
ein hochkomplexes Labor aufbaut.
Die Hoffnung der Wissenschaftler ist die, dass Zeitkristalle der Physik
neue Wege aufzeigen können, wie sie die zwar präzisen aber immer noch
unvollständigen Gesetze der Quantenmechanik zu einer größeren Theorie
erweitern könnten.
Über Gravitation und die Struktur des Universums sind die Dimensionen von
Zeit und Raum miteinander in einer Struktur verwoben, die wir als
"Raum-Zeit" bezeichnen. Die Quantenmechanik (die Interaktionen
auf subatomarer Ebene beschreibt), stellt die Zeit-Dimension in einer
anderen Form da, wie die drei Dimensionen des Raumes und erzeugt so eine
Asymmetrie.
Dieser unterschiedliche Umgang mit Zeit ist einer der Gründe für die
Inkompatibilität zwischen Allgemeiner Relativitätstheorie und der
Quantenmechanik. Um beide zusammenzubringen, muss mindestens eine der
beiden verändern werden, um - so das Ziel theoretische Physiker - zu
einer umfassenden Theorie über die Quanten-Gravitation werden zu können.
Wenn Zeitkristalle nun aber in der Lage wären, die Zeit-Symmetrie in
gleicher Weise aufzubrechen, wie konventionelle Kristalle die
Raum-Symmetrie, "so würde dies zeigen, dass in der Natur diese
beiden Quantitäten ähnliche Eigenschaften haben und dass sich dieser
Umstand auch in einer Theorie widerspiegeln sollte", erläutert
Häffner. In einem solchen Fall wäre die Quantenmechanik inadäquat und
es müsste eine bessere Quantentheorie gefunden werden, die Zeit und Raum
sozusagen als zwei Fasern des gleichen Gewebes behandeln müsse.
In ihrem Experiment wollen die Forscher zukünftig versuchen, einen
Zeitkristall dadurch zu erzeugen, dass sie 100 Kalzium-Ionen in eine
kleine Kammer injizieren, die von Elektroden umgeben ist. Das von den
Elektroden erzeugte elektrische Feld soll dann die Ionen in einer 100
Mikron (1/1000 mm = ca. Durchmesser eines menschlichen Haars) großen
"Falle" einsperren.
Grafische
Illustration des an der UC-Berkely geplanten
Experiments zur Erzeugung
eines Zeitkristalls.
Copyright/Quelle: Hartmut Häffner /
simonsfoundation.org
Zunächst, so erwarten dies die Forscher, werden die Ionen in einem
angeregten Zustand zu vibrieren beginnen. Mit Diodenlasern, wird dann die
vorhandene kinetische Energie abgezogen. Danach, so die Berechnungen der
Physiker, sollten sich die Ionen ringförmig und auf knapp über den
absoluten Nullpunkt heruntergekühlt, in ihren Grundzustand begeben. Als
nächstes wird dann in der Ionen-Falle ein statisches Magnetfeld erzeugt,
das – so zumindest de bisherige Theorie - die Ionen dazu bringt, endlos
zu rotieren.
Sollte das Experiment erfolgreich sein, so werden die Ionen immer wieder
im regelmäßigen Intervallen zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren und so
ein sich regelmäßig wiederholendes Gitternetzwerk in der Zeit bilden,
dass die temporäre Symmetrie aufbricht.
Um wirklich auch nachweisen zu können, dass sich der Ring auch dreht und
dass die Ionen in regelmäßigen Intervallen an ihren Ausgangspunkt im
Gebilde zurückkehren, wird eines der 1000 Ionen mit einem Laser
anvisiert, wodurch dieses Ion in einen anderen elektronischen Zustand als
seine 99 Gegenstücke versetzt wird. Wenn dieses Ion nun in dem
Ringkonstrukt mit einer gleich bleibenden Rate rotiert, so wäre damit
erstmals nachgewiesen, dass die Zeit-Symmetrie aufgebrochen werden kann.
"Das würde dann unser bisheriges Verständnis von Zeit ziemlich in
Frage stellen", so der an den Experimenten beteiligte Physiker
Tongcang Li. "Zunächst müssen wir aber beweisen, dass dies
tatsächlich überhaupt möglich ist.
Quelle: simonsfoundation.org