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Einblick |
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De gustibus |
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"De gustibus non
est disputandum"
«Über Geschmack läßt sich nicht streiten», das pflegten schon die alten Römer zu sagen – und soweit es die ganz subjektive Wahrnehmung anbetrifft, ist das sicherlich richtig. Schon vor ihnen entwickelten die genialen Griechen ewige Maßstäbe objektiver Ästhetik, wobei sie ein Idealverhältnis von Form, Proportion etc. ermittelten. Dessen Richtigkeit dieser Schönheitsideale ist nach wie vor unbestritten – in den Kulturkreisen der europiden Menschen. Bei anderen Rassen sind diese Maßstäbe der Weißen nicht unbedingt gültig, da sie selbst anders aussehen und daher logischerweise auch ihre eigenen Schönheitsideale haben. Die Ideale der Proportion haben zwar eine absolute Gültigkeit, doch zu schätzen weiß diese allein, wer auf einer ausreichend hohen Kulturstufe steht, um sie begreifen und empfinden zu können. Davon kann heutzutage oft nicht mehr die Rede sein – in keinem Kulturkreis der Erde. In der gegenwärtigen Epoche ist das Ästhetikempfinden derart geschädigt, daß in der Praxis fast nur von dem subjektiven "De gustibus non est disputandum" die Rede sein kann. Welche Wohnungseinrichtung ist schön? Welches Automobil ist schön? Welches Frauenbild wird als schön oder hübsch empfunden? – Wo die objektive abendländische Ästhetik verlorenging, bleibt allein dieser oder jener persönliche Geschmack übrig, der mit dem andren im Wettbewerb steht – und so läßt sich dann in der Praxis doch über diesen streiten, wie fruchtlos das am Ende auch sein mag. Sind die objektiven Maßstäbe abhanden gekommen – oder aufgrund der überall verbreiteten kulturellen Vermischung nicht mehr eindeutig auffindbar – so geschieht das, was natürlich ist: Menschen gleicher Kultur und gleichen oder verwandten Geistes schaffen sich ihre eigenen, für sie geltenden Maßstäbe. Dadurch ergibt sich eine „Evolution der Abgrenzung", wie auch die Natur selbst sie sich schafft, wenn sie im Ungeordneten Ordnung bewirkt. Ist eine Welt aus den Fugen geraten, so wie die unsere im XX. und XXI. Jahrhundert, und keine qualitativ hochwertige Kraft vorhanden, dies wieder in Ordnung zu bringen, so setzt das gnadenlose Prinzip einer Darwinistischen Entwicklung ein: Auf der rohen Quantität geht durch Auslese eine neue Qualität hervor, das Schöpferische steigt erneut auf, was unfähig ist, geht zugrund. Das mag, gemessen an einem Menschenalter, lange Zeiträume beanspruchen, doch kosmisch gesehen geht es schnell: in einigen zigtausend Jahren sind die Dinge wieder im Lot. Das ist kaum ein großer Trost für uns Heutige, und vielleicht entwickelt sich ja auch manches in nächster Zeit noch besser als es augenblicklich den Anschein hat. Wer an das Wort Christi glaubt, ist davon überzeugt. Wer darauf allein nicht bauen mag, muß dem Satz folgen, den Abraham Lincoln einmal sprach: „Suchst du eine helfende Hand, so schau zum Ende deines rechten Arms!" Und wenn auch niemand zurzeit die Welt umzustürzen vermag, so können doch wir alle für und selbst im Rahmen des Möglichen das Richtige tun – und damit gleichsam für alle, denn das Ganze setzt sich ja aus lauter einzelnen zusammen. Freilich: Kulturentfaltung ist immer auch eine Angelegenheit der materiellen Möglichkeiten – nicht ausschließlich, aber auch. Niemand kann ein Spiegelbild seines kulturellen Empfindens in Wohnraum umsetzen, wenn das schnöde Geld dazu fehlt. Darauf kommt es aber auch gar nicht so sehr an, wie es auf den ersten Blick den Anschein haben mag. Dagegen würde sämtliches Geld der Welt nicht das aller geringste zur Kultur beizutragen vermögen, wäre das innere Empfinden nicht dazu in der Lage ist. Dieses also ist die erste Voraussetzung für alles – und das kostet keinen Cent, es ist eine Frage von Bewußtsein und Bildung. Da die erste Voraussetzung zur anspruchsvollen Kulturentfaltung also in unserem Inneren geschaffen werden muß und ohnehin nirgends käuflich ist, darf der rein materielle Aspekt durchaus unbeachtet bleiben. Wer das entsprechende Kulturbewußtsein in sich verankert hat, lebt in einem bescheidenen Quartier kaum anders als in jenem idealen Umfeld, das er oder sie zu schaffen wüßte, wäre es finanziell möglich. Wenn Sokrates meint, Besitz sei im Grunde Belastung, so steckt darin durchaus Weisheit. Es ist nicht nötig, selbst zu besitzen, was von Wert ist – einatmen ließe es sie sowieso nicht – es ist vielmehr wichtig, dessen Wert empfinden zu können. Gewiß, es wäre nicht unangenehm, mit einem Mercedes 300 SLS zur Arbeit zu fahren (um einmal männlich zu sprechen), oder sich zu jeder Gelegenheit das richtige Kleid und den passenden Schmuck dazu leisten zu können (weiblich gedacht). Und warum sollte das auch unmöglich sein, wenn die eigene Tüchtigkeit durch Fortuna begünstigt wird? Das kann durchaus gelingen, warum nicht! Zugegeben, so weit tragen die Schwingen Fortunas nicht jeden, allzu häufig kommt es nicht vor. Das ist aber eben auch nicht der entscheidende Punkt! Wenn wir dank eines starken Bewußtseins sicher wissen, was zu tun wäre, dann ist es schon zu Dreivierteln getan – selbst wenn sich äußerlich davon nicht viel wahrnehmen läßt. Denn letztlich spielten sich ja ohnehin Dreiviertel jeden Geschehens im Inneren ab – auch von der Wahrnehmung all dessen, was äußerlich ist. Und sind die kulturell anspruchsvollen Maßstäbe des guten Geschmacks in einem Menschen verankert, so empfindet und erlebt er oder sie diese zu jeder Zeit und überall! Über die Stillosigkeit anderer kann die oder der dann nur noch schmunzeln, halb mitleidig und halb amüsiert. Denn was nützt so manchem, der aus diesem oder jenem Grunde finanziell bestens dasteht sein Vermögen, wenn er es nicht so zu verwenden weiß, daß er einen inneren Gewinn davon hat? Auf den inneren Gewinn kommt es schließlich an, der ist das, was bleibt! Jenes Gefühl für Kultur und Ästhetik, daß unser Bewußtsein später auch einmal in die nächste Welt mitnimmt. Für alles andere gilt, was Hans Albers schon in einem Seemannslied sagt: „Das letzte Hemd hat leider keine Taschen …" Über Geschmack läßt sich womöglich nicht streiten, über den hohen Wert, den ein gutes Geschmacksempfinden bedeutet, aber noch weniger. |
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