Ueberblick

Aus

Ein

mailto:info@causa-nostra.com

Rundblick

Ausblick

Einblick

Rückblick

Überblick
     
   

Rundblick 

     

So bürgerlich tickt die deutsche Jugend

       
     
       
     

So bürgerlich tickt die deutsche Jugend
Foto zum Thema: Katrin Binner Für Annabelle Schäfer aus Wiesloch zählt Familie viel:
Sie wolle einen Mann und zwei Kinder, so die erst 16-Jährige

       
     
       
     

So bürgerlich tickt die deutsche Jugend

DIE WELT, 9. Juni 2013

Die Jugend ist überwiegend konservativ und leistungsbereit – das enthüllt eine neue Studie. Demnach stehen traditionelle Werte wie Familie und Kinder hoch im Kurs. Die Rebellion der 68er ist vorbei. Von Miriam Holltein und Dorothea Siems

Wenn Max Heldt eines hasst, dann ist es Unpünktlichkeit. Kann der 27-jährige Berliner eine Verabredung mit Freunden nicht einhalten kann, sagt er rechtzeitig ab.

In seiner Wohnung legt Heldt, der Betriebswirtschaft auf Master studiert, Wert auf Sauberkeit, beruflich bezeichnet er sich als "zielstrebig": "Auch im Urlaub stelle ich mir eigentlich immer die Frage: Wie kann ich mich noch verbessern?"

Wie Heldt ticken heute die meisten jungen Leute in Deutschland. Konservative Werte wie Respekt, Ordnung, Heimat oder Leistung stehen bei den Jugendlichen hoch im Kurs, wie eine repräsentative Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung zeigt. So halten 95 Prozent der unter 30-Jährigen "Respekt" für etwas Gutes, 91 Prozent empfinden Stabilität als positiv.

War es in früheren Jahrzehnten populär, mit Massendemonstrationen, Hausbesetzungen oder Uni-Streiks gegen die bestehenden Verhältnisse aufzubegehren, so steht die heutige Jugend in der Mitte der Gesellschaft. Weil die Welt als unberechenbarer wahrgenommen wird, sucht man nach Halt.

Junge werden zu Mini-Erwachsenen

"Die jungen Menschen streben nach Sicherheit, sie sind pragmatisch und sie wissen, dass ihnen Sekundärtugenden helfen voranzukommen", sagt Ulrich Schneekloth von TNS Infratest Sozialforschung. Für Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) belegen die Umfragewerte, dass die Mehrzahl der hiesigen Jugendlichen "der Finanzkrise mit einem soliden Selbstvertrauen begegnet und eher couragiert als demotiviert ihre persönliche Zukunft in Angriff nimmt". Dies sei ein völlig anderer Mainstream als die Null-Bock-Ära der 80er-Jahre.

Die Studie der CDU-nahen Adenauer-Stiftung nimmt die politischen Einstellungen der Altersgruppe der 16- bis 29-Jährigen in den Blick und vergleicht sie mit dem Rest der Bevölkerung. Dabei zeigt sich, dass die Jungen immer mehr zu "Mini-Erwachsenen" werden. Auch sie unterstützen das Leistungsprinzip: 84 Prozent der Jüngeren wollen staatliche Unterstützung nur denen gewähren, die bereit sind, etwas zu leisten.

Vier von fünf der über 30-Jährigen sehen das ebenso. Fast genauso groß ist in beiden Altersgruppen die Übereinstimmung, wenn es um die Notwendigkeit des Schuldenabbaus geht. Generationsübergreifend werden Großprojekte wie Flughäfen, Bahnhöfe oder Autobahnen für sinnvoll erachtet, um Deutschlands Zukunft zu sichern. Und 60 Prozent der Jungen stöhnen, dass sich heutzutage alles so schnell verändere, dass man kaum mehr Schritt halten könne – fast so viele wie bei den Älteren.

"Die Welt wird immer dynamischer"

Die Veränderungen, der die Jugend von heute ausgesetzt ist, sieht der BWL-Student Max Heldt als den Hauptgrund für die Popularität bürgerlicher Werte in seiner Generation. "Die Welt um einen herum wird immer dynamischer", sagt er. "Man schafft sich einen Mikrokosmos, in dem man sich sicher fühlt."

Er selbst ist zum Studium nach Berlin gezogen. Das erste Jahr habe er vor allem gefeiert, räumt Heldt ein. Aber dann sei "der Wendepunkt" gekommen. Fortan konzentrierte sich Heldt aufs Studium. Nebenher suchte er sich einen Job, um eine eigene Wohnung mieten zu können. Wenn er sich heute mit Freunden trifft, dann eher um gemeinsam zu kochen, statt zu feiern.

Einmal im Monat geht Heldt ins Theater oder in die Oper. "Ich lege auf einen bestimmten Lebensstil viel Wert", sagt er. "Aber ich bin auch bereit, dafür etwas zu leisten." Politisch sei er interessiert, für eine Partei würde er sich aber nicht engagieren: "Man fühlt sich nicht berufen, Dinge zu verändern." Wer wie viele in seiner Generation in relativ sorglosen Verhältnissen aufwachse, habe weniger den Impuls, auf die Straße zu gehen.

Der Generationenkonflikt ist überschätzt

Der viel beschworene Generationenkonflikt, so auch das Fazit der Autorin der Studie, Sabine Pokorny, "wird hoffnungslos überschätzt". Die Annäherung zwischen Jung und Alt findet allerdings auf beiden Seiten statt. Eltern und Lehrer stehen ihren Schützlingen heutzutage viel weniger autoritär gegenüber, als dies früher der Fall war.

"Viele Kämpfe der 68er-Bewegung sind ausgefochten", sagt die Sozialforscherin. Die Jüngeren sehen viele der damals erreichten Veränderungen als selbstverständlich an. So sind die Moralvorstellungen in der gesamten Bevölkerung heute liberaler als in den 60er- und 70er-Jahren. Auch in anderen Bereichen wie dem Umweltschutz oder der Familienpolitik trennen die Generationen keine Gräben mehr.

Wie gut sich die Generationen heutzutage verstehen, kann man auch daran erkennen, dass die Kinder immer später aus dem Elternhaus ausziehen. Flüchtete der Nachwuchs früher so bald wie möglich in eine Wohngemeinschaft, ins Studentenheim oder in eine frühe Ehe, so ziehen heute viele junge Erwachsene das bequeme "Hotel Mama" vor. Die Abnabelung vom Elternhaus fällt umso schwerer, je größer die Harmonie ist.

"Ich bin ziemlich traditionell"

Diese Frage stellt sich für Annabel Schäfer noch nicht. Doch die 16-Jährige weiß schon jetzt genau, wie es danach weitergehen soll. "Früh heiraten, zusammenziehen, zwei Kinder bekommen", sagt das Mädchen mit ernsten Blick in den großen braunen Augen: "Und dann geht der Mann arbeiten, während ich zu Hause bleibe, bis die Kinder in den Kindergarten kommen."

Die Elftklässlerin aus Baden-Württemberg sagt offen: "Ich denke ziemlich traditionell, was die Zukunft angeht. Als Außenseiterin fühlt sie sich damit nicht: "In meinem Freundeskreis denken alle so."

Gegen die Verhältnisse zu rebellieren oder ohne Plan einfach abzuhängen, all das interessiert die selbstbewusste Schülerin aus einem Städtchen im Rhein-Neckar-Kreis nicht. Dabei ist sie keine brave Streberin. Für die Schule lerne sie vor allem dann, wenn es drauf ankomme, sagt Annabel. Und natürlich feiere sie auch Partys.

"Aber man denkt voraus – weil man sich absichern will, was Beruf und Geld angeht." Ihre Eltern – der Vater ist IT-Spezialist, ihre Mutter arbeitet für eine Mediengesellschaft – hätten als junge Leute eher "im Hier und Jetzt" gelebt, glaubt Annabel: "Die Jugend von heute denkt eher an die Zukunft."

Junge interessieren sich nicht für Politik

Warum? "Man sieht immer wieder, wie es falsch läuft." Deshalb sei es wichtig, sich Ziele im Leben zu setzen. Die sind eher privat als politisch. Mit den Parteien will sich die Schülerin erst beschäftigen, wenn sie 18 ist und wählen gehen darf.

Mit herkömmlicher Politik hat die Mehrheit der jungen Menschen nicht viel am Hut. Schon die 2010 veröffentlichte Shell-Jugendstudie zeigte, dass nur eine Minderheit von 40 Prozent politisches Interesse bekundet; Anfang der 90er-Jahre waren es noch 57 Prozent.

Bei der vergangenen Bundestagswahl gingen laut Infratest dimap nur rund 60 Prozent der unter 30-Jährigen zur Stimmabgabe – so wenig wie nie zuvor. Die niedrige Wahlbeteiligung ist nicht zuletzt eine Folge der geringen Parteibindung. So sagen 56 Prozent der unter 30-Jährigen, dass sie keiner Partei nahestehen.

"Die geringe Bindung an eine Partei bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen geht vor allem zulasten der beiden Volksparteien", stellt die Studie der Adenauer-Stiftung fest. Die Union profitiert demnach nicht von der Renaissance konservativer Werte. Lediglich 15 Prozent der 16- bis 29-Jährigen fühlen sich den C-Parteien verbunden.

"Konservativ" ist nicht populär

Auch der Begriff "konservativ" ist bei der Jugend nicht populär: Nur knapp jeder Dritte verbindet mit ihm etwas Positives. Ein Trost für die Unionspolitiker ist allerdings, dass SPD und Grüne noch weniger Junge an sich binden können als CDU/CSU und FDP sowie die Linke auf das Niveau von Splitterparteien sinken.

"Junge Wähler sind experimentierfreudiger und geben häufiger nicht etablierten Parteien wie den Piraten oder der NPD ihre Stimme", sagt Meinungsforscher Jürgen Hofrichter von Infratest dimap. So wählte von den unter 25-Jährigen bei der vergangenen Bundestagswahl jeder fünfte Mann keine der fünf im Parlament vertretenen Parteien. In dieser Altersgruppe hat die Piratenpartei – die knapp zwei Prozent erreichte – locker die Fünfprozenthürde genommen.

"Die Piraten waren damit bei der Bundestagswahl 2009 die stärkste der kleinen Parteien", sagt Wahlforscher Hofrichter. "Der völlig andere Auftritt dieser Partei hat bereits damals viele junge computeraffine Menschen angesprochen." Entsprechend groß dürfte die Enttäuschung über die schlechte Performance der Partei sein, die sich seit Monaten in Organisations- und Programmfragen verheddert.

Punktuell politische Aktivitäten

Jugendforscher Klaus Hurrelmann warnt indes davor, geringe Wahlbeteiligung mit politischem Desinteresse gleichzusetzen. "Die jüngere Generation ist nicht unpolitisch. Sie hat aber einen eigenen, neuartigen Dreh: Ihre politischen Aktivitäten sind punktuell und oft flüchtig."

Soziales Engagement in der Schule oder in Umweltprojekten sei nach wie vor verbreitet. Aber anders als in früheren Jahrzehnten gehe es den Jungen heute nicht um große Visionen und um Weltverbesserung. "Dazu ist man heute viel zu stark mit der Optimierung der eigenen Lebensplanung beschäftigt", sagt der Soziologe.

Für Hurrelmann spiegelt die große Akzeptanz der traditionellen Werte wie Fleiß, Ordnung und Disziplin in der jungen Generation die wirtschaftliche Lage in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten wider. Frühere Generationen hätten es sich leisten können, vor allem nach Selbstbestimmung und Lebensgenuss zu streben.

Sehnsucht nach Sicherheit dominiert

Doch die jungen Menschen heute seien aufgewachsen in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit. Es ist deshalb verständlich, dass die Sehnsucht nach Sicherheit und Stabilität heutzutage dominiert. Wie sehr Jugendliche unter Druck stehen, zeigt auch die Analyse "Wie tickt die Jugend", die das Sinus-Institut im vergangenen Jahr vorgelegt hat.

Denn die Jungen und Mädchen nähmen wahr, "dass der Wert eines Menschen in erster Linie an seiner Leistungsfähigkeit beziehungsweise seiner Bildungsbiografie gemessen wird". Und das Gros der Heranwachsenden beugt sich den Erwartungen, die die Gesellschaft an sie stellt.

Diese pragmatische Haltung zahlt sich aus: Nirgendwo in Europa ist die Arbeitslosigkeit in dieser Altersgruppe geringer als in Deutschland. Während in Spanien oder Griechenland vor allem die Jungen die Krise zu spüren bekommen und deshalb lautstark protestieren, profitiert der hiesige Nachwuchs von der funktionierenden Sozialpartnerschaft.

Dazu der Sozialforscher Schneekloth: "Es ist in Europa mittlerweile fast ein Alleinstellungsmerkmal, dass die Jugend hierzulande nicht abgehängt ist."

© Axel Springer AG 2013


 
       
               
               
     

       
               
               
Überblick Ausblick Einblick Rückblick Rundblick Galerie Tonarchiv

Home


Um an die Stelle  "zurück"  zuspringen, von der Sie gekommen sind,   verwenden Sie bitte den  "Zurück-Pfeil"  Ihres Browsers !