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Europas Größenwahn 
führt zu seinem Untergang

       
     
       
     

Europas Groessenwahn fuehrt zu seinem Untergang

       
     
       
     

Europas Größenwahn führt zu seinem Untergang

DIE WELT, 9. Juni 2012

Der Euro und die "Vereinigten Staaten von Europa" waren eine schöne Idee. An ihr festzuhalten aber, nur um nicht zugeben zu müssen, dass man sich vertan hat, macht einen Irrtum zum Verhängnis. Von Henryk M. Broder

In 20 oder 30 Jahren, vielleicht auch schon früher, werden Dramen und Doktorarbeiten darüber geschrieben werden, wie die Europäer zu Beginn des 21. Jahrhunderts das Projekt "Europa" vergeigt haben. Zeitzeugen werden in Fernsehdokumentationen darüber berichten, wie der Euro eingeführt und wieder abgeschafft wurde.

Es wird die Schuldfrage gestellt werden: Waren die Deutschen zu stark oder die anderen zu schwach? Wäre das Desaster vermeidbar gewesen, wenn man die Zeichen an der Wand eher erkannt hätte? Ich möchte an dieser Stelle der Geschichte vorgreifen und drei Erklärungen anbieten.

Erstens: Größenwahn führt zum Untergang. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer Trabanten tauchte am europäischen Horizont die Idee der "Vereinigten Staaten von Europa" als Gegengewicht zu den Vereinigten Staaten von Amerika auf. Es gab bereits eine Anzahl europäischer Institutionen wie das Europaparlament und die Europäische Kommission, die durch eine europäische Verfassung aufgewertet werden sollten.

So kam der "Vertrag über eine Verfassung für Europa" zustande, der im Oktober 2004 in einer feierlichen Zeremonie in Rom von den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten unterzeichnet wurde, aber nie in Kraft trat, da er nicht von allen nationalen Parlamenten ratifiziert wurde.

Worauf sich die Vertreter der 27 EU-Staaten auf eine abgespeckte Version verständigten, die drei Jahre später, im Dezember 2007, in Lissabon unterzeichnet wurde und als "Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft" im Dezember 2009 in Kraft trat.

Geburt einer Riesenmaus

Da selbst die größten Europa-Fans nicht in der Lage waren, sich einen solchen Namen zu merken, setzte sich eine Kurzfassung durch: "Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union". Er umfasste rund 500 Seiten. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949 kam noch mit 50 Seiten aus, für die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika von 1787 reichten 15 Seiten.

Man könnte sagen: Der europäische Berg kreißte und er gebar eine Riesenmaus. Hatten die Amerikaner vor über 200 Jahren eine gemeinsame Sprache, musste der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in 23 Sprachen abgefasst werden. Die "Vereinigten Staaten von Europa" waren eine schöne Idee, die leider den Nachteil hatte, dass sie sich nicht in die Praxis umsetzen ließ.

Idee der Gleichheit führt ins Verderben

Zweitens: Die Idee der Gleichheit, konsequent zu Ende gedacht, führt ins Verderben. In Zeiten der politischen Korrektheit bedeutet "diskriminieren" nicht unterscheiden, sondern benachteiligen und herabsetzen. Die Vorstellung, man könnte das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben der Finnen mit dem der Spanier synchronisieren und das der Portugiesen und der Polen auf einen Nenner bringen, konnte nur von Bürokraten ausgedacht werden.

Nicht nur Individuen, auch Ethnien haben einen Charakter. Man wird unter Juden mehr begabte Schachspieler als Gewichtheber finden; unter den Deutschen mehr Grübler und Schwerdenker als unter den Italienern; keine Fördermaßnahme der Welt wird das musikalische Gefälle zwischen den Bluesmusikern im Süden der USA und den Blaskapellen in Bayern ausgleichen können.

Das festzustellen grenzt bereits an Rassismus. Der Versuch, Europa zu homogenisieren, musste scheitern. Demokratische Strukturen können nur von unten nach oben aufgebaut werden. Gleichheit von oben zu verordnen ist ein Rückfall in aufgeklärten Absolutismus.

Der Euro gehört allen, also keinem

Drittens: Der Euro als Gemeinschaftswährung gehört allen, das heißt: keinem. Wer einmal in einer Wohngemeinschaft gelebt hat, kennt das Phänomen: Wie es in der Küche aussieht, bestimmen nicht die Ordentlichen, sondern die Nachlässigen. Jeder verlässt sich darauf, dass die anderen aufräumen. Die Bewohner setzen sich ab und zu zusammen, um über die Aufgabenteilung zu beraten, aber am Ende ist es immer derselbe/dieselbe, der/die den Müll wegbringt und das Geschirr abwäscht, weil er/sie die Unordnung nicht mehr aushält.

Das trägt nicht unbedingt zu seiner/ihrer Beliebtheit bei den anderen WG-Bewohnern bei. Ganz im Gegenteil, wer sich dermaßen als nützlicher Idiot hervortut, macht sich zum Gespött der anderen. So war es auch in der DDR. Während die privaten Datschen gepflegt wurden, war das Gemeinschaftseigentum dem Verfall ausgeliefert. Nichts war für das Leben im Sozialismus so charakteristisch wie die verdreckten, versifften Treppenhäuser, für deren Reinigung sich niemand zuständig fühlte, weil sie allen gehörten.

Mit der Einführung des Euro als Gemeinschaftswährung wurde die Bindung an die eigene Währung, der Maßstab für den Wert einer Ware oder einer Leistung, aufgehoben. Die Mark, der Gulden, der Franc waren etwas Konkretes, der Euro ist eine virtuelle Einheit. Noch zehn Jahre nach seiner Einführung rechnen die Verbraucher alle Preise in die alte Währung um. So kann keine "europäische Identität" entstehen. Es ist, als würde man alle Nationalhymnen durch eine europäische Hymne ersetzen.

Schöne, aber nicht praktikable Ideen

Die Vorstellung eines vereinten Europa ist eine Fiktion, zugegeben: eine schöne. Ein riesiger Runder Tisch, an dem alle Platz nehmen können, die dazugehören wollen. Niemand wird bevorzugt, niemand wird benachteiligt. Jedes Land ist mit einem Kommissar vertreten, Deutschland ebenso wie Malta. Es gibt einen Präsidenten, dessen Namen niemand kennt, und eine EU-Außenbeauftragte, die Erklärungen abgibt, die niemand zur Kenntnis nimmt.

Politiker, die daheim ausgedient haben, werden mit einem Job bei der EU vor dem Absturz in die Arbeits- und Bedeutungslosigkeit gerettet. Günther Oettinger wurde EU-Energiekommissar, Edmund Stoiber zum EU-Beauftragten für Bürokratieabbau ernannt, zuletzt hat auch Karl-Theodor zu Guttenberg einen Ehrenposten bei der EU bekommen, er soll sich darum kümmern, "wie Internetnutzer, Blogger und Cyberaktivisten in autoritär regierten Ländern auf Dauer unterstützt werden können". Nun warten alle darauf, in welcher Funktion Norbert Röttgen in Brüssel aufschlägt.

Auch der Euro war eine schöne Idee, leider hat sie sich als nicht praktikabel erwiesen. An einer Idee um der Idee willen festzuhalten, nur um nicht zugeben zu müssen, dass man sich vertan hat, macht einen Irrtum zum Verhängnis. Wie bei dem Mann, der mit der Eisenbahn unterwegs ist und an jeder Station in lautes Jammern ausbricht. Gefragt, was er denn habe, antwortet er: "Ich sitz im falschen Zug, und mit jedem Halt wird die Rückreise länger."

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