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Der erste Reichsritter

       
     
       
     

Der erste Reichsritter
Ulrich von Hutten 1488 - 1523

       
     
       
     

Der erste Reichsritter


Jugend- und Studentenjahre

Der Reichsritter und deutsche Humanist Ulrich von Hutten wurde am 21. April 1488 auf der Burg Steckelberg an der fränkisch-hessischen Grenze geboren. Über seine Jugend ist wenig bekannt. Man wird sich einen leicht erregbaren, sensiblen, aufgeweckten Burschen vorzustellen haben. Schon früh wurde der Knabe zum geistlichen Stand bestimmt; mit elf Jahren brachten ihn die Eltern ins Kloster Fulda. Hier erwarb sich Hutten einen soliden Grundstock von Lateinkenntnissen, im übrigen fühlte er sich aber eingeengt. Als der Vater von einem Austritt nichts wissen wollte, entfloh Ulrich dem Kloster und zerriss damit auch die Familienbande. Nun begann für Hutten ein bewegtes Leben, das ihn in Kontakt brachte mit bedeutenden Humanisten, aber auch mit verbissenen, boshaften Feinden. Doch gerade im Kampf mit dem Leben zeigte es sich, wie echt sein Charakter war. Das Schicksal stählte seine Natur, schärfte seinen Blick für die Weltlage und für die Gebrechen der Zeit, kräftigte sein vaterländisches Gefühl. Vorerst zog Hutten durch Deutschland. Im Winter 1505 weilte er in Köln, im Sommer 1506 in Erfurt, während des Winters in Frankfurt an der Oder, wo er zum Bakkalaureus promovierte. 1507 hielt er sich in Leipzig auf, dann reiste er nach Norden. 1509 geriet er in Greifsberg in Streit mit seinen Gönnern und wandte sich darum nach Rostock. Immer deutlicher machte sich der Widerwille gegen den scholastischen Lehrbetrieb bemerkbar; immer überzeugter und fester, schloß sich Hutten der humanistischen Bewegung an. Böhmen, Mähren und Wien waren die nächsten Stationen. Durch seine humanistischen Freunde kam der Ritter in enge Berührung mit der Reichspolitik Maximilians I., machte sich aber wegen seines Benehmens und wegen seiner Publizistik unbeliebt. In unruhigen Tagen begann Hutten im Jahre 1512 zu Pavia mit dem Studium der Rechtswissenschaft. Als die Eidgenossen im Juli die Stadt belagerten, wurde der als Anhänger des Kaisers verdächtigte Student vorübergehend in Gewahrsam genommen. Siegreiche Schweizer Söldner plünderten ihn aus und schleppten ihn solange jämmerlich herum, bis er sich endlich loskaufen konnte. Noch 1519 bezeichnete Ulrich von Hutten begreiflicherweise die Schweizer als bäurische und äußerst rohe Leute. Im Jahre 1513 kehrte Hutten vorübergehend in die väterliche Burg Steckelberg zurück. Dann setzte er -vom Mainzer Erzbischof Albrecht von Brandenburg unterstützt - in Bologna, Ferrara und Venedig seine Studien fort. Neben seinem Fach lernte er auch die Verhältnisse und das Treiben am päpstlichen Hof in Rom kennen.


Dichter und Streiter

1517 wurde Hutten in Augsburg zum Dichter gekrönt. Die zahlreichen an den Kaiser gerichteten Epigramme (Sinngedichte) ließen eine solche Ehre als wohlbegründet erscheinen. Die Dichterkrönung bildete zugleich den Ersatz für den aus Bologna nicht mitgebrachten akademischen Grad und trugen Hutten eine Stelle am bischöflichen Hof in Mainz ein. Neben den Reisen blieb genügend Zeit für Studien und wissenschaftliche Aufgaben. Zeitgenossen, die Hutten kannten oder über ihn gut unterrichtet waren, bewunderten seine außergewöhnliche dichterische und schriftstellerische Gabe sowie seine wissenschaftlichen Kenntnisse. Sie lobten - wie Gustav Keller 1952 nachgewiesen hat - seine feine Bildung, seinen unermüdlichen Fleiß, seine Liebe zu Vaterland und Freiheit. Sie waren entzückt über seine Liebenswürdigkeit und Leutseligkeit, seine Höflichkeit und Freundlichkeit im Gespräch und Umgang. Sie hoben seinen untadeligen Charakter, seine Aufrichtigkeit und seine Wahrheitsliebe hervor. Aber sie fürchteten und verurteilten auch seine Maßlosigkeit und Reizbarkeit, seine zügellose Ungebundenheit, die schneidende Schärfe seines glänzenden Wesens, seine schroffe Heftigkeit und kecke Verwegenheit, seine unbeherrschte Wildheit, seine Neigung zu Aufruhr und seinen auf die Erneuerung und den Umsturz aller Verhältnisse gerichteten eisernen Willen. Zeitlebens zeichnete sich Hutten aus durch eine frische Unbekümmertheit, unersättliche Lebenslust, unbeschwerte Bedenkenlosigkeit, streitbare Kampfesfreude und freilich auch durch widerspenstigen Eigensinn, starre Rechthaberei und Mangel an Selbstbeherrschung. Sein zorniger Eifer richtete sich in unduldsamer Einseitigkeit und willkürlicher Selbstgerechtigkeit sowohl gegen die Scholastik als auch gegen die katholische Kirche. Als Ritter wollte Hutten bei ständischer Solidarität doch persönliche Ellbogenfreiheit. Als Deutscher war er Gegner der kosmopolitischen Kirche und Verfechter des nationalen Staates. Als Humanist wollte er ein Gemeinwesen, das die Bildung beschirmte. Sein Rittertum verfeindete ihn aber mit dem neuen Fürstentum, das den Staat zentralisierte und entpersönlichte. Sein Humanismus stellte ihn gegen die verjährte Scholastik und später - allerdings nicht so offen - auch gegen den Protestantismus, dem der Staat nur als Mittel des Glaubens und der Gemeinde, als Schutzwall der Frommen, als Vorbereitung auf das Jenseits galt. Luthers Auftreten in Leipzig erzeugte in Hutten lebhaften Widerhall und machte ihn zum Kampfgenossen. Als Hutten sah, wie die deutsch geschriebenen, ersten Streitschriften Luthers im Volk Verständnis fanden, faßte auch er den Entschluß, sich in seiner Sprache an die Leute zu wenden. Die bedeutendste Flugschrift, die Hutten von der Ebernburg aus in die Welt hinausflattern ließ, trug den Titel „Klag und Vormahnung wider den Gewalt des Papstes” (1520 nach der christlichen Zeitrechnung). Der Dichter, Verfasser angriffiger Pamphlete und bißiger Verse, strebte nicht nur die Befreiung vom Papsttum an, sondern einen höheren Grad von politischer Freiheit überhaupt. Eben versuchte sich die Ritterschaft vom verhaßten Reichskammergericht zu befreien, welches das Fehderecht, die letzte Waffe, ganz zu zerschlagen drohte. An der Spitze der Ritter stand ein Freund Huttens, der mächtige und reiche Franz von Sickingen. Er war darauf bedacht, die Herrschaft der Fürsten zu stürzen und fand in Hutten einen wortgewaltigen Verfechter seiner Sache. Von der Ebernburg aus erließ Hutten seine heftige „Beklagung der Freistätte deutscher Nation“. Darin beschuldigte er die Fürsten der Gewalttätigkeit und Ungerechtigkeit gegen Volk und Adel, und er forderte die Städte auf, sich zum Sturz der Feinde zu verbinden. Die Fehde brach aus und dauerte neun Monate. Am 30. April 1523 fiel Landstuhl, Sickingens stärkste Burg. Er selbst starb an seinen Wunden. Hutten aber, geächtet und nirgends seines Lebens sicher, hatte schon früher fliehen müssen.


Auf der Flucht

Von Schlettstadt aus traf der flüchtende Hutten im November 1522 in Basel ein und wurde als vornehmer Gast von der Basler Regierung freundlich empfangen. Die publizistische Tätigkeit des Flüchtlings gefährdete aber Ruhe und Ordnung; Erasmus, auf den Hutten seine Hoffnung gesetzt hatte, distanzierte sich ebenfalls. Zu Beginn des Jahres 1523 lebte Hutten in Mülhausen. Inzwischen rüstete sich Erasmus zur Erwiderung und zum vernichtenden Schlag gegen den einstigen Jünger und Freund. Sein „Schwamm gegen die Anspitzungen Huttens“ ist das Werk unversöhnlichen Hasses. Kurze Zeit nachdem Hutten am 7. Mai 1523 die Nachricht von Sickingens Niederlage und Tod erhalten hatte, mußte er Mülhausen verlassen. Er wandte sich nach Zürich. Obwohl Erasmus den Rat von Zürich und Zwingli gewarnt hatte, einen Mann bei sich aufzunehmen, der überall den Frieden störe, gewährte Huldrych Zwingli dem Verfemten und Gehetzten Asylrecht. Es war eine mannhafte Tat Zwinglis, sich den harten Angriffen der überall lauernden Gegner Huttens auszusetzen. Hutten war ein todkranker Mann. Seit Jahren litt er an einer hartnäckigen Knocheneiterung, die sich infolge der Entbehrungen und Aufregungen der vergangenen Monate fortwährend verschlimmert hatte. Eine Badekur versprach Erleichterung. Als Bad schien Pfäfers geeignet, wo Zwingli schon wiederholt sein Gallenleiden gelindert hatte. Mitte Juli traf Hutten in Pfäfers ein; die warmen Bäder zeitigten aber keinen besonderen Erfolg. In den ersten Augusttagen des Jahres 1523 suchte Hutten daher die Ufnau auf, um sich dort vom heilkundigen Leutpriester Hans Klarer, genannt Schnegg (Schnecke), pflegen zu lassen. Wieder war es Zwingli, der den Flüchtling wies. Zwingli hatte von 1516 bis 1518 in Einsiedeln als Leutpriester gewirkt, und noch immer unterhielt er Beziehungen zu seinem einstigen Freundeskreis.


Auf der Ufnau

Die kurze Zeitspanne von ungefähr vier Wochen, die Ulrich von Hutten von Anfang August bis zu seinem Tod am 29. August 1523 auf der Klosterinsel zubrachte, ist von der Dichtung umwoben. Die nüchtern prüfende Forschung weiß über Huttens letzte Tage mit Sicherheit lediglich, daß der Todkranke bei Pfarrer Hans Klarer ein Versteck suchte und Pflege fand und daß ihn bis zuletzt der Streit mit Erasmus beschäftigte. Das Todesdatum ist umstritten. Gestützt auf Erasmus hat sich die neuere Forschung meistens für den 29. August 1523 entschieden. Hutten starb in völliger Armut. Zwingli bemühte sich um die Regelung der Hinterlassenschaft. „Hutten hat auch bei Leuten hier allerlei Schulden gemacht“, schrieb der Reformator am 11. Oktober 1523 einem Gläubiger, dem Basler Kaplan Wolfhart. „Er hat eben gar nichts hinterlassen, was irgendeinen Wert hätte. Bücher besaß er keine, an Hausrat ebenfalls nichts als seine Schreibfeder. Von seinen Sachen habe ich nach seinem Tode nichts gesehen als einige Briefe, von seinen Freunden und an sie, in ein Bündel zusammengeschnürt.” Hutten ward auf dem alten Friedhof der Pfarrkirche Sankt Peter und Paul auf der Ufnau beigesetzt. Auf Betreiben eines fränkischen Adeligen setzten Zürcher Bewunderer dem einsam Gestorbenen um das Jahre 1545 ein Grabmal. Der Stein ist längst verschwunden; die Inschrift jedoch, die darauf eingegraben war, ist überliefert:

„Hic eques auratus iacet, oratorque disertus Huttenus vates, carmine et ense potens.” („Hier ruht der goldene Ritter, ein wortgewaltiger Redner, Hutten, der Seher-Poet, mächtig mit Feder und Schwert.“)

Wahrscheinlich hatten nur einige wenige Eingeweihte um Huttens Anwesenheit in Zürich, in der Umgebung der Stadt und auf der Ufnau gewußt. Nach seinem Tode wurde aber allmählich bekannt, wer der kranke Deutsche gewesen war, dem der Reformator eine schützende Unterkunft und heilkundige Pflege verschafft hatte. Der Pfarrer der Insel, die Freunde Zwinglis in Einsiedeln und Freienbach und hauptsächlich Zwingli selbst waren - wie Hans Gustav Keller nachgewiesen hat - als Beschützer eines Lutheraners und Todfeindes der katholischen Kirche gekennzeichnet und gebrandmarkt. Der Haß der Altgesinnten äußerte sich in der Schändung des Grabes des deutschen Ketzers; Pfarrer Hans Klarer wurde von der Ufnau abberufen und an die Frühmesspfründe in Meilen versetzt.

 

Das Grab Ulrichs von Hutten

Während Jahrhunderten wußte man nicht mehr, an welcher Stelle des Friedhofes der berühmte, aber auch umstrittene Hutten bestattet worden war. Dann wurde im Herbst 1958 im Zusammenhang mit den Restaurierungsarbeiten auf der Südseite der Kirche Sankt Peter und Paul ein Skelett freigelegt, und an einem der Eckquader an der Südostecke des Kirchenschiffs - in unmittelbarer Nähe des Grabes - entdeckte man den eingeritzten Namen HVTTEN vs (HUTTEN). Das Skelett war das eines Mannes zwischen 30 und 40 Jahren, was zwar auf Hutten paßte; aber die Körpergröße (165 cm (Zentimeter)) stimmte nicht zu dem, was man über seine Gestalt wußte. Auch die Knochenlues (Knochen-Syphilis), an der Hutten litt und über die er in einer seiner Schriften ausführlich berichtet, konnte im Pathologischen Institut der Universität Zürich nicht nachgewiesen werden. Obwohl der pathologische Befund (Professor E. Uehlinger) negativ, der anthropologische Befund (Doktor Erik Hug) zum mindesten zweifelhaft ausgefallen war, hielt Professor Linus Birchler das nahe bei der Inschrift HVTTEN aufgefundene Skelett für dasjenige des Ulrich von Hutten und ließ es am 22. Juni 1959 in einer schlichten ökumenischen Feier auf der Ufnau wieder beisetzen. Professor Linus Birchler schilderte die Feierlichkeiten mit folgenden Worten: „Am Tag der Zehntausend Ritter 1959 fährt von Rapperswil (Kanton Sankt Gallen) her ein Motorboot mit gegen dreißig geladenen Gästen nach der Ufnau hinüber, zur Wiederbeisetzung der Gebeine Ulrichs von Hutten. Man zieht zur kleinen ehemaligen Pfarrkirche hinauf, deren Portal weit offen steht. Darin liegt ein ganz kleiner Sarg, noch geöffnet; daraus heraus leuchten fahl ein Schädel und Gebeine. Das Eichenholz stammt aus dem Spessart, wo die Hutten einst Waldungen besaßen; auf dem Sargdeckel ist das Familienwappen eingeschnitzt. Die Anwesenden bilden eine ungewöhnliche Gesellschaft: zwei evangelische Theologen aus Zürich, zwei Benediktiner aus dem Finstern Wald (Finsterwald; Region um den Berg Etzel, wo Sankt Meinrad lehrte), der bischöfliche Generalvikar des Kantons Zürich, ein sozialistischer Zürcher Regierungsrat, ein Vertreter der Regierung des Kantons Schwyz, der deutsche Generalkonsul von Zürich und, als am stärksten beteiligt, sechs Mitglieder der noch immer blühenden Familie von Hutten, Freiherr Carl Ulrich, seine Gattin, zwei Söhne und zwei Töchter. Man redet nur leise, wie bei einer „richtigen” Bestattung. Nun stellt sich der Einsiedler Stiftsbibliothekar Doktor P. Leo Helbling zu Häupten des fast einer Wiege gleichenden Särgleins und spricht zu den Versammelten gute Worte. Zwei Huttensöhne schrauben dann den Sargdeckel fest und heben die leichte Last. Die beiden Einsiedler Benediktiner beten feierlich das deutsche Miserere, während die blonde Jugend die Sargtruhe an die Südseite der Kirche trägt und in die Grube senkt, genau an der Stelle, wo das Skelett im Herbst 1958 gefunden wurde. Ein leichter Regen nötigt alle wieder in das Kirchlein zurück. Dort ergreift nun der Fraumünster-Pfarrer (Fraumünster-Kirche in Zürich), Doktor Peter Vogelsanger, das Wort zu einer bemerkenswerten Ansprache. Der leichte Regen ist versprüht. Unterdessen haben Arbeiter die schwere Sandsteinplatte über das kleine arme Grab gerollt. Bildhauer Kuster in Bäch hat sie aus dem haltbarsten Sandstein unseres Landes gehauen, dem aus dem Steinbruch Guntliwaid bei Nuolen. Auf der Platte steht unterhalb eines schlicht eingehauenen Kreuzes das Distichon („Zweizeiler”); ist in der Verslehre allgemein ein Verspaar beziehungsweise eine zweizeilige Strophenform), das ein gewandter Humanist noch im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts formuliert hat und das ungefähr so zu übersetzen ist: „Hier ruht der goldene Ritter, ein wortgewaltiger Redner, Hutten, der Seher-Poet, mächtig mit Feder und Schwert.“ („Hic eques auratus iacet, oratorque disertus Huttenus vates, carmine et ense potens”). Peter Vogelsanger stellt sich zu Häupten und spricht nach evangelischer Grabliturgie das „Staub bist du“. Namens der Familie dankt Freiherr von Hutten dem Stift Einsiedeln für die Großzügigkeit, dem notorischen Klosterfeind ein ehrenvolles Grab zu gewähren, ein Beschluß, der vom Kapitel einstimmig gefasst worden war. Über die Schranken der Konfessionen hinweg reicht sich also die Menschlichkeit die Hand, so wie schon 1523 das Kloster dem verfemten Reichsritter Herberge und ein stilles Grab gewährt hatte - mitten im damaligen hitzigen Kampf der Glaubensbekenntnisse eine recht christliche Tat.“ Soweit Linus Birchler. Aber hatte man den richtigen Hutten gefunden und beigesetzt? Für den Anthropologen Erik Hug aus Zürich war die Angelegenheit noch nicht erledigt. Ihn beschäftigte die Tatsache, daß die anthropologische und die pathologische Untersuchung zu einem weitgehend negativen Resultat geführt hatten. Und wirklich: Nach systematischer Suche auf dem Friedhof der alten Pfarrkirche der Ufnau entdeckte Erik Hug am 2. November 1968 unweit vom Südeingang des Kirchenschiffes in nur 75 Zentimetern Tiefe ein gut erhaltenes, west-östlich orientiertes Skelett, das sich nach der wissenschaftlichen Untersuchung im Gerichtlich-Medizinischen und im Pathologischen Institut der Universität Zürich einwandfrei als dasjenige des Ulrich von Hutten erwies. Schon der anthropologische Befund überzeugt: Der hohe, schmale Schädel zeigt nordischen Typus und unterscheidet sich deutlich von den andern Schädeln, die auf der Ufnau gefunden worden sind. Das Skelett stammt von einem 155 cm großen, männlichen Individuum im Alter zwischen 25 und 35 Jahren, was ebenfalls auf Hutten zutrifft. Die Schädelprojektion erhärtet den anthropologischen Befund. Projiziert man den Schädel in die fünf zeitgenössischen Holzschnitte, welche Huttens Porträt zeigen, stellt man in jedem Fall eine verblüffende Übereinstimmung fest. Ebenso frappant ist die Übereinstimmung zwischen dem pathologischen Befund und der Krankengeschichte, die Hutten als 30-Jähriger unter dem Titel „De Guajaci medicina et morbo Gallico“ niederschrieb. Aus seinen Aufzeichnungen geht hervor, daß er den linken Fuß wegen der vielen offenen Geschwüre am Unterschenkel nicht mehr gebrauchen konnte, dass das rechte Bein über dem Knöchel angeschwollen war, daß ihn die linke Schulter schmerzte, wenn er den Arm hob, und daß er am Hinterhaupt einen ziehenden Schmerz verspürte, wenn er den Kopf zu drehen versuchte. Hutten war ein todkranker Mann und litt an einer schweren Form der Lues, die eine hartnäckige Knocheneiterung zur Folge hatte. Diese Krankheit wurde von einem Gremium von Spezialisten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Unter der Leitung von Professor Doktor Fritz Schwarz, dem ehemaligen Direktor des Gerichtsmedizinischen Instituts, befassten sich die Professoren Doktor Erwin Ackerknecht vom Medizinhistorischen Institut, Doktor Max Francillon von der Orthopädischen Klinik Balgrist, Doktor Albert Gerber vom Zahnärztlichen Institut, Doktor Erwin Uehlinger vom Pathologisch-Anatomischen und Doktor Josef Wellauer vom Röntgendiagnostischen Institut mit der pathologischen Identifizierung des Skeletts. Wie die Röntgenaufnahmen und die histologischen Schnitte erkennen lassen, zeigen vor allem die langen Röhrenknochen (Schien- und Wadenbeine, linker Oberschenkel, Elle des rechten Unterarmes) osteomyelitische, chronischentzündliche Verdickungen der Knochensubstanz. Die kolbenförmigen Verdickungen am unteren Abschnitt der linken Tibia zum Beispiel, hervorgerufen durch zahlreiche syphilitische Geschwüre, machen es ohne weiteres verständlich, weshalb Hutten den Fuß nicht mehr aufzusetzen wagte. Auch der rechte Fuss schmerzte, schrieb Hutten. Und wirklich, die Wissenschafter konnten eine Deformierung des dritten Mittelfußknochens (Morbus Koehler) nachweisen! Der Schmerz in der linken Schulter ist auf einen Humerus varus zurückzuführen, der Schmerz am Schädel auf den krankhaft veränderten Dornfortsatz des siebenten Halswirbels. Die anthropologischen und pathologischen Befunde stimmen mit den historischen Quellen und mit Huttens Krankengeschichte so auffallend überein, dass kein Zweifel mehr daran bestehen dürfte, daß Erik Hug im Herbst 1968 ganz in der Nähe der 1959 gesetzten Grabplatte die letzte Ruhestätte des großen Humanisten entdeckt hat. Am Allerseelentag 1970 wurden nach einer kleinen Feier in der Stiftsstatthalterei Pfäffikon die von schwerer Krankheit gezeichneten Gebeine Huttens unter der Sandsteinplatte von 1959 wieder beigesetzt. Sie ruhen in einem Sarg aus reinem Kupfer. Das seinerzeit als „Hutten“ bestattete Skelett wurde im Grabe belassen. Auf einer beigelegten Kupferplatte heißt es:

Ulrich von Hutten (1488 - 1523), Entdeckt am Allerseelentag 1968, Wieder beigesetzt am Allerseelentag 1970


Am Grabe Ulrichs von Hutten - zwei Reden

Anläßlich der Wiederbeisetzung der Gebeine Ulrichs von Hutten auf der Ufnau am 22. Juni 1959 hielten Stiftsbibliothekar Doktor P. Leo Helbling OSB (Ordo Sancti Benedicti), Einsiedeln, und Pfarrer Doktor theol. (doctor theologiae; Doktor der Theologie) Peter Vogelsanger, Zürich, folgende Ansprachen:


Sehr verehrte Gäste!

Im Namen unseres Abtes darf ich Sie hier auf unserer schönen Insel begrüssen. Wir sind zu einer schlichten Gedenkstunde zusammengekommen. Ulrich von Hutten hätte es sich wohl mit Vehemenz verbeten, daß ausgerechnet ein Benediktiner an seinem Grab das Wort ergriffe. Zu tief eingewurzelt war von seinen Jugendjahren an die Abneigung gegen Klöster und Mönche, zu tief waren die negativen Eindrücke - um nicht zu sagen, die seelischen Traumata -, die er bei seinem Aufenthalt unter den schwarzen Mönchen in Fulda empfangen hatte. Zu stark war schon damals die Selbstsicherheit und der unbändige Eigenwille, als daß er sich von elterlicher Gewalt oder klösterlichem Einfluss den Lebensweg vorzeichnen oder vorschreiben liess. - Dazu war der ritterliche Habitus, die Haltung, das Gehaben des streitbaren Ritters, des Kampfgenossen Sickingens, zu beherrschend in ihm ausgeprägt, als dass die pax benedictina, benediktinische discretio und temperantia, Maß und Milde oder Zucht und Maß für ihn hätten Wesentliches bedeuten können. Er hätte wohl auch älter werden müssen - mit 35 Jahren eines ruhelosen Lebens ist man nicht voll ausgereift -, um zu erfassen, was die regula monasteriorum dem Abendland gegeben hat. Die Menschen der Renaissance und des Humanismus fühlten sich so hoch erhaben über die „media tempesta“ - dieses Wort für Mittelalter ist wohl 1469 zum ersten Mal gebraucht worden -, daß sie sich in den vergangenen Jahrhunderten nur Finsternis und eine ganze Welt von viri obscuri, von Dunkelmännern, vorstellen konnten, lauter Barbarei (um mit Hutten selbst zu sprechen), die am besten den Strick nehmen und dem Morgenrot der Freiheit weichen, der veritas renascens (wahren Wiedergeburt) Platz machen müsste. Freilich, die Dunkelheit hatte sich in den späten Jahrhunderten allerorten ausgebreitet. Bildung und Tugend waren selten geworden. Dafür zeigte sich in den allermeisten Klöstern ein erschreckender Mangel an wirklichen Persönlichkeiten. In Einsiedeln hatte noch in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein Albrecht von Bonstetten an den Universitäten von Freiburg im Breisgau, Basel und Pavia studiert und sich durch seine Schriften einen Namen gemacht; Kaiser Maximilian, der 1517 Ulrich von Hutten in Augsburg zum Dichter krönte, hatte schon 1498 Bonstetten zum Dr. juris can. (doctor juris canonici; Doktor der kanonischen Gesetze oder Gesetzesschriften) ernannt. Aber schon zu Bonstettens Zeit bildete das Kloster Einsiedeln nur noch den kläglichen Rest einer Mönchsfamilie: neben dem Abt waren noch zwei Konventualen da, deren Verwaltungsaufgaben ein klösterliches Leben unmöglich machten. Für die Seelsorge und für die Schule wurden Weltpriester angestellt: so ist ja auch Huldrych Zwingli 1516 im Finstern Wald (Finsterwald in der Nähe des Berges Etzel) Leutpriester (Priester für die Menschen, Leute) geworden. Aber dieser klägliche Rest einer Klosterfamilie hatte doch noch so viel christliche Gesinnung, ja christliche Liebe, den armen, verfolgten, ausgepowerten (entkräfteten), todkranken Ritter - wohl auf Bitten des Zürcher Großmünsterpfarrers (Ulrich Zwingli) - auf diesem friedlichen Eiland gastlich aufzunehmen und ihm nach seinem baldigen Tode eine christliche Ruhestätte unmittelbar neben der altehrwürdigen Kirche Sankt Peter und Paul zu bereiten. Wenn wir heute die Gedenktafel erneuern, die im achtzehnten Jahrhundert noch vorhanden gewesen sein muss, wenn wir die sterblichen Überreste am gleichen Ort beisetzen, wo sie vierhundert Jahre geruht hatten, dann tun wir daß nach dem einhelligen Beschluss des klösterlichen Kapitels, weil wir heute besser als die Menschen früherer Jahrhunderte verstehen, dass auch schärfste, ja sogar ungerechte Kritik Anlass zu ernster Gewissenserforschung sein kann. Daß es dem jungen Hutten an geschichtlichem Verständnis und psychologischer Einfühlungsgabe fehlte, so dass er den mehr als zwanzig Jahre älteren Erasmus von Rotterdam, den er in seinen früheren Jahren glühend verehrte, nicht mehr verstehen konnte, darf für uns heutige Menschen kein Grund sein, den hochbegabten Dichter, den tapferen Ritter, den Rufer und Streiter zu verurteilen, der in seiner überschäumenden Lebenslust, in seinem zweifellos übersteigerten Selbstbewusstsein die Grenzen des Humanum, des Kalon kagathon nicht immer zu wahren verstand. (Kalokagathia, altgriechisch kalós kai agathós oder zusammengezogen kalós kagathós „schön und gut“, ist die Bezeichnung für ein griechisches Ideal der körperlichen und geistigen Vortrefflichkeit: „Schönheit und Gutheit“. Der Begriff bezeichnet eine Verbindung von körperlicher Schönheit und geistigen Vorzügen, die als gesamthafte Vortrefflichkeit (Arete) der Person erscheint. Der Begriff spielt bei Sokrates, etwa in Platons Dialogen, oder mittelbar in Xenophons Memorabilien (III, 8) eine große Rolle. Im 5. Jahrhundert vor der christlichen Zeitrechnung wurde der Begriff meist für Adlige verwendet, im 4. Jahrhundert vor der christlichen Zeitrechnung allgemein für hervorragende Persönlichkeiten). Aber wir dürfen ihm glauben, wenn er in seinen berühmten Versen bekennt, daß er nur die Wahrheit suchte und nach seiner Überzeugung lebte - und das ist schließlich das Entscheidende für uns alle. Ich darf wohl seine eigenen Worte an den Schluss meiner Gedenkansprache setzen:

So will ich auch geloben das:


Von Wahrheit will ich nimmer lan,
Das soll mir bitten ab kein Mann;

Auch schafft zu stillen mich kein Wehr,
Kein Bann und Acht, wie fast und sehr

Man mich damit zu schrecken meint;


Wiewohl mein fromme Mutter weint,
Da ich die Sach’ gefangen an:

Gott woll’ sie trösten! Es muß gan,
Und sollt’ es brechen auch vorm End,

Will’s Gott, so werd’ es nit gewendt:
Dazu will brauchen Füß und Händ.
Ich hab’s gewagt!



Verehrte, liebe Gäste, Freunde und Brüder!

Man kann sich fragen, als reformierter Theologe muß man sich sogar fragen, ob das, was wir jetzt an dieser stillen Stätte tun, auch richtig sei. Wir bestatten noch einmal die wiederaufgefundenen Gebeine einer von Ruhm und Tadel umwitterten Gestalt der Vergangenheit. Wir erneuern und schmücken ein Grab. Heißt das nicht, schmerzliche Wunden wieder aufreißen? Wäre es nicht in jedem Betracht christlicher, dies Grab hier auf der Ufnau, von dessen Existenz man wohl wußte, dessen genauer Ort aber jahrhundertelang unbekannt war, in solch schwebender Anonymität zu belassen? - Auf dem Grab eines spanischen Primas in Toledo, der nicht wollte, daß sein Name der Nachwelt erhalten bleibe, las ich die mahnenden Worte: Hic iacet pulvis et cinis et nihil (Hier liegen Staub, Asche und sonst nichts). Und Calvin hat kurz vor seinem Sterben verfügt, daß kein Stein, nicht einmal eine Inschrift sein Grab kennzeichnen dürfe. In der Tat, als ein paar Wochen nach seinem Tode ein schottischer Gast sein Grab in Genf aufsuchen wollte, fand man es schon nicht mehr. Ist solche Haltung, die des spanischen Primas wie die des Genfer Reformators, nicht beispielhaft christlich für uns? Doch wir sind ja hier nicht beisammen, um in einer von unserem Herrn selbst verpönten Weise das Grab eines Propheten zu schmücken oder irgendwelchen Totenkult zu treiben. Es ist das Grab eines Verfemten, eines Unglücklichen, eines vom Schicksal Zerschlagenen, dem wir Ehren erweisen. Und seine Wiederherstellung gerade an dieser Stätte erscheint mir als Akt und Symbol der Ritterlichkeit, der christlichen Versöhnung und Großmut, des Friedens zwischen getrennten Brüdern. In diesem Sinne sei es mir - da Sie die Teilnahme eines reformierten Pfarrers an der Wiederbestattung Ulrichs von Hutten gewünscht haben - gestattet, unsere Feier zu deuten, ihren Urhebern herzlich zu danken und uns angesichts dreier einfacher Züge von Huttens Sterben auf der Ufnau die Symbolkraft dieses Grabes in Erinnerung zu rufen. Das Erste: Ulrich von Hutten starb hier auf Schweizer Boden. - Eine Tragik liegt über seinem jungen und einsamen Sterben, die an antike Vorbilder gemahnt. Gewiss, diese Tragik ist, wie jede echte Tragik, von ihrem Opfer mitverschuldet. Jedenfalls greift sie noch heute ans Herz. Der kühne Ritter und glühende Patriot des Deutschen Reiches, der poeta laureatus (lorbeergekrönter Dichter) des deutschen Kaisers, der geistvolle Humanist, der streitbare Vorkämpfer der deutschen Reformation flieht nach dem Zusammenbruch des unseligen Reichsritteraufstandes als dessen geistiges Haupt geächtet und gehetzt, an Leib und Seele gebrochen in unser Land und findet endlich nach allen Irrfahrten seines Lebens auf diesem lieblichen Eiland das Asyl, da er seine ungestüme Feuerseele im Frieden aushauchen darf. Das Vaterland, für dessen Ehre, Einheit und Freiheit er so tapfer gestritten, hat ihn verstoßen. Die lutherische Reformation, der er seine scharfe und gewandte Feder geliehen, kann ihn nicht schützen. Sein berühmter, einst grenzenlos verehrter humanistischer Meister Erasmus hat ihn eben noch ins tiefe Herz hinein verwundet. Seine ritterlichen Freunde haben ihn alle verlassen, weil ihm Hilfe zu bringen jetzt für den Helfenden höchste Gefährdung wäre. Sickingen, der treueste und prächtigste von allen, ist gefallen. Da findet Hutten wenigstens noch für ein paar Wochen - länger hat sein Aufenthalt auf der Ufnau nicht gedauert - hier irdische Ruhe, ehe die ewige Ruhe zu ihm kommt. Muss uns da sein Grab nicht ein Symbol und eine Mahnung sein, dasß die Schweizer Erde immerwährende Freistatt bleibe für alle Verfolgten und Verfemten, gleichgültig welcher Abstammung und welchen Glaubens sie sein mögen? Das Zweite: Ulrich von Hutten starb hier auf Klosterboden. - Fast möchte man ausrufen: welche Ironie liegt über diesem Sterben! Der Mitverfasser der Epistolae obscurorum virorum, der oft so maßlose und in vielem gewiss ungerechte Widersacher der römischen Kirche und besonders des Mönchtums, findet sein Sterbelager auf der friedlichen Insel der Mönche. (Die Dunkelmännerbriefe, epistolae obscurorum virorum, waren eine mit satirischer Absicht verbreitete Reihe gefälschter lateinischer Briefe aus dem Jahr 1515, mit denen deutsche Humanisten die Scholastik ins Lächerliche zogen, die damals an den Universitäten noch weit verbreitet war. Die Drucke werden der Werkstatt von Peter Schöffer zugeordnet.) Ein freundlicher Einsiedler Priester ist sein letzter Arzt und Pfleger. Und - es ist Huldrych Zwinglis gütige und praktische Hand, die all diese Hilfe vermittelte. Aber wenn das schon wie Ironie aussieht, dann sicher nicht wie bittere, blutige Ironie, sondern wie jene Ironie, jene Eironeia, die mit der Eirene, dem Frieden verwandt ist. Wir wissen es ja, man lebte damals in einer harten Zeit, man hat sich grauslich befehdet, man hat wirklich oft unchristlich gegeneinander gekämpft um die rechte Erkenntnis der zentralen Glaubenswahrheiten, und wir sind heute recht beflissen, uns von jenem Zeitklima gründlich zu distanzieren. Aber die Grenzen waren in jener Frühzeit der Reformation zugleich noch fließend. Es gab noch ein reges Hin und Her zwischen diesen Grenzen. Die erquickenden Gestalten eines Diebold von Geroldseck und eines Hans Klarer, genannt „Schnegg“, sind freundliche Boten über diese Grenzen hinweg. Und vor allem: es gab solche christlichen Akte des Friedens, der Menschlichkeit, der Güte und Versöhnung über die Grenzen hinweg, wie die Aufnahme Huttens auf Klosterboden. Und sollte nicht auch dafür sein Grab fortan ein verpflichtendes Symbol für uns sein? Es ist merkwürdig: Huttens Name war einstmals offenkundig ein Symbol schroffer Trennung zwischen den Konfessionen. Huttens Grab darf heute ein Symbol echten Friedens zwischen den Konfessionen werden. Und das Dritte: Ulrich von Hutten starb hier völlig arm. - Zwingli schildert uns in einem rührenden Brief den gesamten Nachlass Huttens. Seine Feder, ein Bündelchen Briefe und einen Haufen Schulden - das ist alles, was er äußerlich hinterlässt. Aber noch etwas andres lässt er zurück: das Beispiel eines tapferen, freien, kühnen Geistes, der des Irdischen nicht achtet, der nach dem Mass seiner Erkenntnis ehrlich und unentwegt für Freiheit und Wahrheit gekämpft und sich dabei ganz verzehrt hat. Der objektive Wahrheitsgehalt seines Kampfes mag stark umstritten sein, über die subjektive Wahrhaftigkeit besteht kein Zweifel. Hutten bekennt einmal stolz, nie habe er um schnöden Reichtum, bloße Ehre oder um irdische Herrschaft gekämpft, sondern nur um die Wahrheit, und in einem seiner letzten Briefe noch schreibt er: „Dan sterben ist mir nit so erschrockenlich als ohn freyheit leben“ (Denn das Sterben jagt mir keinen solchen Schrecken ein, als ohne Freiheit zu leben). Als diesen freien, kühnen Geist hat ihn uns der Schweizer Dichter verewigt und dabei wohl auch idealisiert. Als solcher bleibt er uns der unvergessliche und vielleicht kompromissloseste Vertreter eines lebendigen Humanismus und Idealismus. Und auch dafür - für diese Freiheit, Unbeugsamkeit und Furchtlosigkeit des siegreichen Geistes - ist uns sein Grab ein mahnendes Symbol in einer Zeit, die so viel unmenschliche Knechtung, aber auch so viel unwürdige Bindung des Geistes ans Nichtige und Vergängliche kennt. Dürfen wir nun auch noch das Vierte aussprechen und sagen: Ulrich von Hutten starb hier als evangelischer Christ? Ich glaube nicht. Wir beide, Katholiken und Reformierte, können und dürfen ihn kaum als den Unsrigen beanspruchen. Hutten ist und bleibt auf dieser Insel ein fremder Gast, auch wenn sein Grab auf der Ufnau wieder bekannt und sichtbar gemacht ist. Für die Katholiken ist das ganz klar. Als reformierter Christ möchte ich darum im Namen meiner Brüder dem Kloster Einsiedeln, seinem Gnädigen Herrn und seinem Kapitel herzlich danken für die großmütige Geste und christliche Versöhnlichkeit, mit der sie die Erneuerung des verschollenen Hutten-Grabes auf dem von ihnen so liebevoll gehüteten, wundervollen Erdfleck im „hellsten See der Schweiz” heute gewähren. Ich ahne, dasß dabei eine Hemmung überwunden werden musste, die noch zu Anfang dieses Jahrhunderts der Geschichtsschreiber des Klosters, P. Odilo (Pater Odilo Schreger), als unüberwindlich empfand. Desto mehr wissen wir Reformierte diese auch uns verpflichtende Noblesse zu schätzen. - Aber auch wir Reformierte dürfen Hutten kaum als den Unsrigen bezeichnen und reklamieren. Ganz abgesehen davon, dasß er äußerlich zum Luthertum gehörte: sein Herz schlug doch mehr für den Humanismus, die Antike, die klassische Bildung, die Politik, die Sache des Deutschen Reiches und des deutschen Rittertums, als für die Sache des evangelischen Glaubens. So war es doch ein historischer Irrtum, der ihn zum Vorkämpfer der Reformation stempelte. Bezeichnend auch, dass in dem Moment, da er aus der Welt der deutschen Reformation fliehen musste, er sofort wieder die zeitweilig gebrauchte reformatorische Sprache ablegt und in seinen Briefen statt von Christus wieder von den antiken Göttern redet. Das Gespräch zwischen katholischem und evangelischem Glaubensverständnis wird sich, gerade wenn es echt und lebendig sein soll, gewiss nicht an diesem Grabe orientieren und an dem, was es birgt und verkörpert. Es wird sich vielmehr gerade dann als verheißungsvoll erweisen, wenn es sich löst von den belastenden und zeitbedingten Antithesen, in denen es zu Huttens Zeit geführt wurde, und nach neuen Orientierungspunkten in der Heiligen Schrift sucht. Und wie glücklich es sich davon zu lösen beginnt, dafür darf auch diese Stunde ein Zeichen sein, da wir miteinander im Glauben über diesem Grabe die Worte unserer reformierten Grabliturgie bekennen: „Von Erde bist du genommen, o Mensch, und zu Erde musst du wieder werden: Erde zur Erde, Asche zur Asche, Staub zum Staube. Christus aber spricht: Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, der wird nimmermehr sterben!”

       
               
               
     

       
               
               
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