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Gnosis und Isais  (Teil-1)

       
     
       
     

Gnosis und Isais  - Teil-1

       
     
       
      Gnosis und Isais

Teil 1

Unter dem Titel über diesem heutigen Aufsatz wollten wir ursprünglich nur diesen speziellen Aspekt – Gnosis und Isais – behandeln. Mit Beginn des Schreibens wurde uns jedoch klar, daß dies nicht so wie zunächst gedacht möglich ist. Insofern ist unser Eingangsbild hier im Grunde noch nicht so recht angebracht. Da diese Serie aber aus mehreren Artikel besteht, die auf dieses Thema hinsteuern und es auch immer wieder einmal zwischendurch berührt wird, soll das Bild bleiben, denn um dies – Isais und Gnosis – geht es uns ja schließlich bei dieser Arbeit.

Ehe wir über die gnostischen Aspekte im Isais-Bereich sprechen sowie über Wechselwirkungen, müssen wir die Gnosis als Ganzes behandeln. Das ist wahrlich nicht einfach, aus gutem Grund bietet auch die gesamte Fachwissenschaft kein einziges umfassendes Werk zu diesem weiten Themenkreis. Das hat natürlich gute Gründe. All das, was heutzutage, aus dem Zeitabstand der Geschichte gesehen, bei ungenauem Hinsehen als „die Gnosis" erscheint, ist nicht einmal von ferne einheitlich gewesen. Dazu kommt, daß fast sämtliche gnostischen Originaltexte vernichtet wurden. Besäßen wir in eigenen Archiven nicht wenigstens eine Handvoll Blätter mehr, als meist zur Verfügung stehen, wären auch wir fast gänzlich auf das angewiesen, was die Gegner der Gnosis, ja, deren erbitterte Feinde, an mehr oder weniger Schimpflichem über sie geschrieben haben (Celsus, Irenaeus & Co.). Die wenigen Originalfragmente beweisen jedoch, daß zumindest so manche gnostische Gruppierung auf einem viel, viel höheren Niveau gestanden haben, als die Agitprop-Schriften der Gnosis-Gegner und vormachen wollen. Nicht ohne Grund war die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Synagoge auf der einen und Gnosis auf der anderen Seite derart hart: Die Gnosis ist in den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt ganz offenkundig eine massive Bedrohung für das Christentum, aber auch für das Judentum, gewesen, weil gerade gebildete, vornehme und damit einflussreiche Menschen der Gnosis mehr zuneigten.

In nächster Zeit müssen und wollen wir also über die Gnosis sprechen, und zwar in aller nötigen Konsequenz; wir werden von Simon Magus und Valentinus sprechen, über die Ophiten und über Mani – nichts Bedeutsames in diesem Zusammenhang soll ausgelassen werden. Einzelne Punkte, die separat behandelt werden können - wie etwa Sinn und Ursprung von Abraxas, oder auch manches, was sich auf frühe Bildvorlagen zur Magna Figura bezieht - werden vielleicht in eigenen Aufsätzen behandelt werden, das muß sich zeigen. Um auf den Punkt zu kommen, um den es uns geht - die Relation zwischen Isais und Gnosis - müssen wir auf alle Fälle das Ganze angehen. Das wird ein hartes Stück Arbeit, und wir hoffen, es wird trotz mancher womöglich anstrengender Passagen ein wenig Ihren Beifall finden. Damit diese Texte lesefreundlich bleiben, werden wir auf griechische Worte so weit wie möglich verzichten oder, wo dies nicht gut möglich ist, die deutschen in Klammern dahintersetzen. Hier soll keine wissenschaftliche Abhandlung entstehen – aber diese Artikelserie will sehr wohl jedem Fachurteil voll und ganz standhalten können, ja, womöglich sogar manches mehr bringen und besser untermauern, als es in zurzeit verfügbarer Fachliteratur zu finden ist.

In der nächsten CN-Ausgabe werden wir in „Rückblick" einen kleinen Katalog der wichtigsten gnostischen Ausdrücke mit Erläuterung anbieten. Jetzt, für diesen ersten Teil, ist das noch nicht nötig (heute ist lediglich kurz die Bezeichnung „Ophiten" zu erläutern: Eine gnostische Vereinigung, die „Ophis" - gr. die Schlange - als mehrfaches Sinnbild verwendeten).

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Die Gnosis verstand sich als die Erkenntnis des Übersinnlichen, all dessen, was der durch die Sinne des Körpers wahrnehmbaren Welt „unsichtbar sichtbar" wird. Isaisbündisch gesprochen geht es um das Erkennen, Erfassen und Begreifen der „Wirklicheren Wirklichkeit", welche zwar hinter dem mit irdischem Auge Sichtbaren steht, die für die wahre, innere Persönlichkeit – den „Engel in uns" – das eigentlich Reale ist und daher jederzeit und überall wirksam werden kann. Die diesseitige Welt, der gesamte mit irdischen Sinnen wahrnehmbare Kosmos, ist ja nicht mehr ein für begrenzte Zeit bestehendes Provisorium, welches aufgelöst werden wird, wenn alle aus dem Reich des ewigen Lichts einst ausgezogenen „gefallenen Engel" – nämlich wir Menschen – einmal den Weg durch diese Grobstoffwelt gegangen sind, um den Heimweg in die göttliche Urheimat zu finden. Das ist Ilu-Lehre wie auch Isais-Denken – und es steht der klassischen Gnosis so nahe, daß eine Verbindung geradezu selbstverständlich erscheinen muß. Und doch bestehen Unterschiede. Auch ist das „von wo nach wo" im Grunde geklärt. Höchstwahrscheinlich waren es die Gnostiker, die Inspirationen früher Isaisbünde aufgriffen, nicht etwa umgekehrt; und sicher war es Marcion, der die christliche Gnosis nicht bloß beeinflußte, sondern wohl sogar erst möglich machte – kaum willentlich, aber de facto. In einigen Punkten waren sich alle Gnostiker einig, so unterschiedlich die meisten dann auch in ihren Lehren weiter verfuhren: 1. Es gibt zwei widerstreitende kosmische sowie interkosmische Kräfte: Licht und Finsternis, wobei in der Gnosis der christlichen Zeit der Gott des Lichts in Christus gesehen wurde, und als der Fürst der Finsternis der jüdische Jahwe.

2. Alles geht auf die oberste Gottheit zurück, welche aus den Kräften Männlich und Weiblich besteht, beziehungsweise diese beiden Kräfte zur schöpferischen Vereinigung führt; und alles, was besteht, ist durch Zeugungsakte zwischen weiblichen und männlichen Gottheiten oder Geistwesen geworden.

3. Das Allgefüge besteht aus dem Kosmos mit der Erde und einem riesigen Überkosmos, der jenseitige Welten enthält sowie auch jenseitige Sphären, welche die Erde umschließen und teils auch durchdringen. Von dort aus wirken die überirdischen Wesen, und da liegt auch das endliche Ziel des schließlich zum Pneumatiker, zum geistigen, bzw. durchgeistigten, Wesen gewordenen Menschen.

4. Dank des Erkenntniswegs der Gnosis wird der Mensch befähigt, durch den lichten Gott Erlösung von der Finsternis zu erlangen.

Diese Grundanschauungen waren bei sämtlichen gnostischen Gruppierungen und Sekten im wesentlichen gleich. Wie diese im einzelnen gedacht wurde, war aber oft schon wieder sehr unterschiedlich, ebenso wie die daraus abgeleiteten Lehren, durch welche der Weg zum Ziel möglich werden sollte.

In einem der wenigen noch einigermaßen originalgetreu erhaltenen gnostischen Fragmente wird als Wesen der Gnosis recht gut beschrieben, als: „Die Erkenntnis, wer wir sind und was wir geworden sind; woher wir stammen und wohin wir geraten; wohin wir eilen und wovon wir erlöst sind; was es mit unserer Geburt, was es mit unserer pneumatischen Wiedergeburt auf sich hat". Wenn hier von Wiedergeburt – pneumatischer Wiedergeburt – die Rede ist, was nichts mit „Reinkarnation" zu tun hat, so zeigen sich darin zwei jener Komponenten, die für die Gnostiker charakteristisch waren: Die Betrachtung allen Seins zugleich aus diesseitiger und jenseitiger Sicht, und das Streben nach der Vergeistigung des Stoffs – was sehr vereinfacht ausgedrückt ist, aber doch der Sache in ihrem Kern gerecht wird. Allerdings – und das ist ein wichtiger Punkt – wurde im gnostischen Denken die Vergeistigung in keinen Gegensatz zum vitalen Dasein gestellt, nicht etwa Askese, sondern vielmehr Lebenserfahrung bahnt dem Gnostiker den Weg.

An anderer Stelle in desselben Fragments heißt es: „Anfang der Vollendung ist die Erkenntnis des Menschen; Gotteserkenntnis ist die vollständig erreichte Vollendung". Das Übersinnliche selbst, welches für die Gnostiker wichtiger war als das sinnlich Wahrnehmbare, wurde zumeist als ein System von Ideen gedacht, die, wenn sie sich im Diesseitigen kundtun, kosmische Kräfte sind, zugleich und eigentlich sind sie aber persönliche Wesen, Götter, Dämonen, Engel oder andere Geistwesen. Dabei spielt stets eine doppelte Dualität die Hauptrolle: Zum einen das überall erkennbare Prinzip der zeugenden und gebärenden Kräfte Männlich und Weiblich – die positive Dualität; und zum anderen widerstreitenden Mächte Licht und Finsternis – die negative Dualität. Auch hier erkennen wir sogleich wieder Gemeinsamkeiten mit Ilu-Lehre und Isais-Denken, wenn auch selten in völliger Übereinstimmung. Allerdings läßt sich dies bloß mit vielen Einschränkungen sagen, da gnostische Originalquellen ja fast ganz und gar fehlen, nur wenige entgingen der Vernichtung.

Ursprünglich standen Gestalten in der Gnosis die Gestalten der heidnischen Mythen über allem, später traten die christlicher Mythen hinzu. Stets stellte man sich vor, daß höhere Wesen das Schicksal der Welt und der Menschen in ihren Händen halten.

Die Erkenntnis der Überwelt vollzieht sich gemäß gnostischem Denken und Empfinden durch das Zusammentreffen eines von der sinnlichen und eines anderen von der übersinnlichen Natur ausgehenden Akts. Durch die Pflege des auf die geistigen Wesenheiten ausgerichteten Denkens, das sich bis zur Ekstase steigern kann, strebt der irdische Mensch den überirdischen Sphären und Welten entgegen. Die geistige Welt, in deren Personifizierungen, neigt sich durch Offenbarungen zu den Menschen nieder und macht sich diesen erkennbar, sobald die Vorbedingungen hierzu erfüllt sind. Solche Erkenntnis wurde in der Antike zu allen Zeiten gesucht und gepflegt, und dies am konkretesten bei den Griechen – ob diese nun im Mutterland oder anderer Orten lebten, wie etwa in Alexandria oder Herakleon.

Dabei haben in der Gnosis Magie wie auch Dämonenbeschwörung fast immer eine herausragende Rolle gespielt. Enthusiastische Mantik, auf mannigfaltige Weise angewandter Mysterienkult, dadurch quasi ein gezieltes „Herbeiprovozieren" von Offenbarungen der Überwelt, das sind Kernbestandteile gnostischer Kulte gewesen. Dabei wurde - trotz allen Trachtens nach Vergeistigung - ein sinnenfreudiges Leben für richtig und notwendig gehalten. Askese dagegen entspricht dem gnostischen Denken grundsätzlich nicht. Die Gnostiker wollten auch und nicht zuletzt durch Leben und Erleben ergründen, welche Kräfte innerhalb und außerhalb des Kosmos’ das Menschenleben bestimmen, und eines der wertvollsten Mittel auf dem Weg der Erkenntnissuche war dabei die Philosophie.

Mythen und Kulte verschiedenen Ursprungs wurden in den Kreis des gnostischen Denkens und Spekulierens einbezogen. Hinter ihnen ahnte man tiefgründige, auf uralte Offenbarung zurückgehende Weisheit, die sich dem Verständnis des Eingeweihten wieder erschließen konnte, wenn er nur den rechten Weg dazu fand. Dieser rechte Weg selbst wird schon als Gnosis bezeichnet. So spricht im Hymnus der Ophiten der Erlöser (welcher ursprünglich nicht mit Christus identisch war, denn das Erlösermotiv kannte auch schon die Gnostik in vorchristlicher Zeit):

„Und den verborgnen, heil'gen Weg, der Gnosis heißet, tu' ich kund."

Als sich den Griechen die weite Welt des Orients erschloß, als sie die kolossalen Bauwerke Ägyptens und Babylons sahen, die von einer Jahrtausende alten Kultur erzählten, suchten sie in den religiösen Schöpfungen dieser alten Völker nach der Urweisheit, ebenso wie sie es in ihren eigenen Mythen und Sagen taten. Da gab es keine orientalische Religion, die in den Gesichtskreis der Griechen trat, welche dem Schicksal, mit den Mitteln griechischer Methodik nach philosophischer Schule in eine tiefsinnige Mysterienweisheit umgedeutet zu werden, entging. Dies galt zuvorderst für die Religionen Ägyptens, Babyloniens, Assyriens, Persiens und Phöniziens, später auch für die Hebräerschriften, das sogenannte Alte Testament. Letzteres wurde in demselben Sinne auch von durch das Griechentum beeinflußten Juden in Alexandria ausgelegt, auch wenn die Resultate solcher Tätigkeit nicht als gnostisch bezeichnet werden können, da die Juden verständlicher Weise ihren Gott nicht als Bösewicht sehen wollten, welcher er nach gnostischen Denken aber stets war, seit der Jahwe den Gnostikern bekannt wurde.

Was sich hier innerhalb des Judentums in kleinen Schritten und auch nur teilweise vollzog, sollte sich bald in den christlichen Gemeinden verstärkt abspielen. Die christlichen Evangelien, die in der hellenistischen Welt in griechischer Sprache erschienen, waren alle mehr oder weniger von gnostischen Motiven erfüllt oder durchsetzt. Der Apostel Paulus lebte im Weltbild der Gnosis und dachte in gnostischen Formen und Bildern. Noch heute ist, trotz aller Verfälschung, in vielen Paulus-Briefen des NT klar zu erkennen, daß Paulus das Christentum von Einflüssen des AT, welches er als „Fluch" bezeichnet, freihalten wollte. Der durch Erkenntnis von Saulus zu Paulus gewordene Apostel vermochte es, klar zu sehen, wo andere unsicher waren. Dennoch setzten andre sich durch, wie bekannt ist.

Als aber die Eigenständigkeit des Christentums im Meer gnostischer Weisheit unterzugehen drohte, erhob sich der Widerstand. Der Kampf gegen die Gnosis, die gefährlichste aller Häresien, begann, und wenn heute von Gnosis gesprochen wird, so wird immer zunächst die christliche häretische Gnosis behandelt – obschon diese im Grunde nicht die ursprüngliche und auch nicht die wichtigste war. In den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt ist die Gnosis unfraglich die gefährlichste Feindin der Kirche gewesen, zumal die Lehren Marcions großen Einfluß auf die Gnostiker ausübten. Die Kirchenväter zogen daher mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln gegen die Gnosis zu Felde, ausnahmsweise in stillem Einvernehmen mit dem Judentum. Kirche wie Synagoge – an sich untereinander verfeindet – fürchteten und bekämpften die Gnosis gleichermaßen, diese Verbindung aus Glaubensempfindung und griechische Weisheit, der nur schwer beizukommen war. Hätten die Gnostiker damals ein durchgehendes, einheitliches Gefüge schaffen können, hätten sie ihre Lehrinhalte in einer auch für einfache Menschen verständlichen Form vorgestellt, so wäre es ihnen vielleicht möglich gewesen, trotz aller Widerstände zu siegen. Denn noch war vieles offen, und gerade hoch gebildete, einflußreiche Personen neigten der Gnosis zu. Es lag aber wohl in der auf das Indivuduelle ausgerichteten Natur der Gnosis, solch einen Weg des „Kollektivs" nicht gehen zu können. Außerdem steht fest, daß die Gnosis sich stets als Trägerin griechischen Geistes und griechischer Kultur verstand. Sich etwas unterzuordnen, was aus Palästina kam, war für die Gnostiker einfach keiner Überlegung wert, auch wenn sie einzelne Punkte christlichen Ursprungs durchaus benutzten – aber eben auf ihre Weise.

Markant ist, was Porphyrios in seinem Lebenslauf des Plotin schreibt: „Zu seiner (Plotins) Zeit gab es unter den Christen viele, besonders aus der alten Philosophie hervorgegangene Häretiker wie die Anhänger des Adelphius und Aquilinus, die viele Schriften des (griechischstämmigen) Libyers Alexander und von Philokomos und Demostratos und Lydos besaßen, Offenbarungen des Zoroaster und Zostrianus und Nikotheos und Allogenes und Mesos und anderer vorbrachten und damit andere betrogen, wie sie selbst betrogen waren, indem sie behaupteten, Platon sei nicht in die Tiefe der intelligiblen Wahrheit und Wesenheit eingedrungen. Daher gab Plotin selbst viele Widerlegungen in den Versammlungen, schrieb auch ein Buch, dem wir den Titel »Gegen die Gnostiker« (nicht zu verwechseln mit dem ähnlich betitelten Werk Philons) gegeben haben, überließ uns aber die Kritik des Übrigen. Amelius nun brachte es bis auf vierzig Bücher in seiner Streitschrift gegen das Buch des Zostrianus. Ich, Porphyrios, aber brachte gegen das Buch dieses Zoroaster häufige Beweise vor und wies nach, daß es ein unechtes und junges Machwerk sei, angefertigt von den Mitgliedern jener Sekte, um den Anschein zu erwecken, als seien die von ihnen gepriesenen Lehren wirklich die des alten Zoroaster". Tatsächlich sind damals falsche Bücher, angeblich des Zoroaster (Zarathustra) in Umlauf gewesen. Worauf es Porphyrios aber vor allem ankommt, ist der Hinweis auf Platon, der mit seiner Auffassung von der Idee die wahre Gnosis entwickelt habe.

Beiläufig zeigt dieser Text aber auch: Schwindler hat es in allen Epochen gegeben, und immer benutzten sie offenbar die gleichen Mechanismen wie viele Okkultisten und „Esoteriker" der Neuzeit, bis in unsere Gegenwart hinein. Diese Vorgehensweise einzelner in den Jahrhunderten der Gnosis ist aber damals ganz sicher weitaus weniger typisch gewesen als es in der modernen Zeit der Fall ist, wo „Esoterik" für viele ja nur Geschäftemacherei bedeutet. Doch kehren wir in die Zeit der Gnostiker und des Kampfes pro und kontra Gnosis zurück.

Nach der Meinung des gelehrten Neuplatonikers Porphyrios, unter dessen Schülern sich auch Anhänger einer gnostischen Sekte befanden, ging die Gnosis aus der „alten Philosophie" der Griechen hervor, was auch zutreffend ist. Manche gnostische Propheten aber kleideten ihre Gedanken lieber in altorientalische Gewänder, eine durchaus nicht ungewöhnliche und gerade von den griechischen Philosophen zu allen Zeiten mitunter geübte Methode. Ägypten erfreute sich dabei der größten Beliebtheit als angebliche Quelle der Weisheit, gefolgt von Babylonien und Persien.

Die moderne Religionswissenschaft hat den Versuch unternommen, dies Verhältnis umzukehren. Sie hat sowohl die Beziehungen zum hellenistischen Mysterienwesen und zur griechischen Philosophie aufgedeckt, wie sie auch den Ursprung wesentlicher Motive der Gnosis in den orientalischen Religionen suchte. Die einen Forscher nahmen Babylon, die anderen Ägypten, wieder andere Persien als seine Heimat an; selbst nach Indien schweifte der nach Beziehungen suchende Blick. Die Theosophen wiederum führten die Gnosis auf eine geheime Urweisheit zurück, die allen Religionen zugrunde liegen solle, von den großen Lehrern der Menschheit in jedem Volke und zu jeder Zeit anders dargelegt. Der griechisch-gnostische Geist würde dem keinesfalls zustimmen. Die Theosophen selbst standen dem Kern der Gnosis ohnehin meist so fern – geprägt durch ihre von den Naturwissenschaften beeinflußten vermeintlichen Neuzeit-Propheten – daß sie zu einer echten Erkenntnis gar nicht mehr fähig waren.

Die gnostischen Systeme, die wir einigermaßen gut kennen, atmen keineswegs den Geist einer orientalischen Religion, sie enthalten vielmehr griechisch-heidnische Züge, ergänzt durch ganz griechisch adaptierte christliche, jüdische, persische, babylonische, ägyptische und oft noch weitere Elemente in verschiedener Stärke und Anzahl nebeneinander, so daß sie gleichsam ein Mosaik darstellen, welches aus unzähligen kleinen Steinen verschiedenster Art und Herkunft zusammengesetzt ist, alles aber immer griechisch-europäisch verarbeitet. Es ist eben stets im Auge zu behalten, daß sämtliche orientalischen Bestandteile nicht diese in deren Originalform waren, sondern allegorische und symbolistische Umsetzungen, die mit den Vorlagen praktisch gar keine direkte Verwandtschaft mehr hatten, was in stärkstem Ausmaß auf die Behandlung des Alten Testaments durch die Gnostiker zutrifft, dessen „Gott" zum bösen Demiurgen und zum obersten Teufel wurde – wie es freilich auch der ursprünglichen Lehre Christi entspricht, wovon manche nicht gänzlich verfälschte Evangelienstellen noch zeugen, wie etwa Johannes 8,44.

Die religionswissenschaftliche und philologische Forschung hat bisher die mühsame Arbeit geleistet, dieses Mosaik auseinanderzunehmen und auf Grund sorgfältiger Untersuchungen die über die ganze von Rom bis Babylon sich ausdehnende Fläche zerstreuten Ursprungsorte der einzelnen Teile festzustellen. Es wurde dabei aber viel zu wenig darauf geachtet, daß dieses Mosaikbild, ganz abgesehen von der Herkunft seines Materials, etwas darstellt, das seinen Sinn in sich selbst hat, einen Sinn, der nur aus dem Geiste seiner Schöpfer begriffen werden kann. Im übrigen blieb Mani dabei meist ebenso unbeachtet wie die isaisbündischen Gruppierungen.

Der Sinn und die Stimmung, die solch ein Bild ausdrückt, sind ja nicht nur von den Stoffen abhängig, die zu seiner Herstellung verwendet wurden, sondern vor allem von dem schöpferischen Willen und der ganzen geistigen Eigenart dessen, der es schuf; denn all dies objektiviert sich in ihm wie in dem Künstler, der ein Bild malte. Sollen daher die uns oft seltsam erscheinenden Gebilde gnostischen Denkens auf ihre Herkunft untersucht werden, so hat man vor allem nach ihrer geistigen Struktur zu forschen: Nicht nur das Was, sondern auch das Wie gibt ihnen den Charakter. Die ganze Art des Denkens und Schauens, des Kombinierens und Spekulierens, die innere Form und die geistige Struktur der Systeme stellen sich hierbei als griechisch-europäisch heraus, das verarbeitete Material dagegen ist zum Teil orientalischer Herkunft.

Die von den Gnostikern geübte Zusammenschau der in ihrem Wesen ursprünglich gänzlich verschiedenen orientalischen und griechischen Gottheiten, die Verkettung religiöser Begriffe, von denen jeder in seiner durch die Geschichte bedingten Atmosphäre einen ganz eigentümlichen, oft in einer anderen Sprache gar nicht wiederzugebenden Sinn hat, die Verwischung aller völkischen Unterschiede, all dies ist vom Standpunkt orientalischer Religiosität aus nicht zu verstehen. Der Orientale hütet seine Religion vor allen fremden Einflüssen. Eine die Tradition wahrende Priesterkaste sichert den unveränderlichen Charakter der religiösen Einrichtungen und vor allem den der heiligen Texte. Bei den Juden ist eine Thorarolle, in der aus Versehen auch nur ein Buchstabe zuviel oder zu wenig steht, rituell ungültig. Die Griechen dagegen besaßen keine das ganze Volk bindende Religion; sie hatten auch keine Priesterkaste. Wohl aber setzte bei ihnen schon früh – etwa bei Homer und Hesiod – die Systematisierung und auch die Verschmelzung der lokalen Gottheiten miteinander ein. Und wie willkürlich sprangen Dichter und Philosophen mit den überlieferten alten Mythen um! Weit stand Griechenland zu allen Zeiten auch den orientalischen Kulten offen, und schnell war der Grieche bereit, die babylonische Ischtar mit seiner Aphrodite oder den ägyptischen Thot mit seinem Hermes gleichzusetzen, alle Unterschiede zu verwischen und das Fremde mit griechischen Augen zu sehen. Das philosophische und religiöse Denken machte dann vor allem mit Hilfe der allegorischen Methode das Unmöglichste möglich. Erst wird in griechische Mythen eine tiefsinnige Philosophie hineingedeutet, und als sich der Orient immer weiter erschloß, verfielen dessen Gottheiten und alles, was von ihnen erzählt wurde, demselben Schicksal.

So legt Plutarch den ägyptischen Mythos von Osiris und Isis im Sinne griechischer Weisheit aus, und im Johannesevangelium wird aus Christus der griechische Logos – um nur zwei von vielen möglichen Beispielen zu nennen. Vergleicht man das in den griechischen Schriften verarbeitete orientalische Gut mit dem, was wir heute darüber aus den ursprünglichen, in den orientalischen Sprachen geschriebenen Quellen wissen, so stellt sich heraus, daß die Griechen keine orientalische Religion in ihrem innersten Wesen begriffen haben – oder richtiger: begreifen und akzeptieren wollten. Die geistige Eigenart des Griechentums war viel zu stark ausgeprägt, als daß sie sich dem Fremden hätte unterordnen können und wollen. So wie die Griechen in ihrer Kunst nicht eher ruhten, bis sie die unheimlichen Naturgewalten, die sie als Äußerung göttlicher Wesen verehrten, wenn nicht gar als solche selbst, in die klaren, unmittelbar menschlich verständlichen Formen edler Götterbilder gebannt hatten, verfuhren sie in allem.

So wurden den Griechen die gigantischen und oft grotesk wirkenden Schöpfungen orientalischer Religiosität erst faßbar und akzeptabel, wenn sie diese in ihren eigenen Vorstellungskreis übergeleitet, sie mit ihrem Denken durchdrungen und dabei rücksichtslos alles des orientalischen Wesens beraubt hatten.

Auch und besonders die Gnostiker waren davon überzeugt, daß es überhaupt erst ihr griechischer Geist war, der die alten orientalischen Gottheiten richtig erkannte, während die in der Zeit lebenden Orientalen dies gar nicht mehr selber vermochten.

Griechische Kultur, Technik, Wissenschaft und Philosophie verbreiteten sich in den Reichen der Diadochen Alexanders und im Imperium Romanum bis weit in den Orient hinein. Überallhin trug das Griechentum seinen Geist und seine Denkungsart, seine wissenschaftlichen und technischen Methoden und überlegenen Fähigkeiten. Auf ihre Art lernten andererseits auch die Griechen von den Orientalen; aber sie verarbeitete das Gelernte sofort, erhoben es sozusagen wieder auf eine in viel früheren Zeiten bereits höher gewesene Stufe.

Eine große Anzahl griechisch schreibender Philosophen der hellenistischen Zeit stammt aus dem Orient, insbesondere aus Kleinasien und Ägypten. Das darf aber nicht dazu verleiten, sie alle als Orientalen anzusehen. Ein im Orient geborener Gelehrter mit orientalischem Namen kann von griechischen Eltern stammen, und andererseits haben es gerade die Nichtgriechen, wie Philon und Paulus, vorgezogen, sich mit einem gutklingenden griechischen oder römischen Namen zu versehen. Nicht anders steht es mit den Begründern der christlichen Wissenschaft und Theologie, ebenso auch mit den Stiftern der gnostischen Gruppen und Sekten. Die Gnosis gehört in diese Atmosphäre hellenistischer Geistigkeit hinein. Wollen wir sie in ihrem Wesen verstehen, so haben wir das Material und die Art seiner Bearbeitung zu unterscheiden, wobei diese für das Verständnis wichtiger als jene ist. Es gilt daher zunächst, die innere Struktur gnostischer Gebilde zu entwickeln, um dann an die Darstellung der einzelnen Zweige der Gnosis im engeren Sinne heranzugehen, so wie sie sich in ihrer geschichtlichen Entwicklung entfaltet haben.

Das gnostische Denken reicht mit einer seiner Wurzeln tief hinein in das ekstatische Erlebnis, in das visionäre Schauen, wie es uns von den Mystikern aller Zeiten mit immer denselben charakteristischen Zügen geschildert wird. Dieses Sehen mit den „Augen der Seele", bei dem das innerste Wesen der Dinge in plastisch-bildhaften, leuchtenden Gestalten erscheint, war im Altertum eine durchaus legitime, auch von den Philosophen anerkannte Quelle jener Erkenntnis, die man als Apokalypse, als „Enthüllung" oder, wie wir im Deutschen sagen, als Offenbarung bezeichnet. Ihr besonderes Gebiet war die griechische Mystik, so wie sie in den Mysterienkulten gepflegt wurde, und fast alle griechischen Philosophen haben sich, wenn sie die Erkenntnis des Übersinnlichen beschreiben wollten, gern der Ausdrücke der Mysteriensprache bedient. Betrachten wir daraufhin die Nachrichten, die wir über das antike Mysterienwesen besitzen, so kann man wohl sagen, daß die Mysterienkulte und alles, was mit ihnen zusammenhing, geradezu darauf angelegt waren, ein solches Schauen hervorzubringen. In unterirdischen Räumen bei Fackelschein wurden die Feiern abgehalten, szenische Darstellungen der Göttermythen wurden eindrucksvoll unter Musikbegleitung und mit wechselnden Lichteffekten vorgeführt. Sie vermittelten den Mysten die anschaulichen Vorstellungen von der Überwelt. Auf ein Umherirren im Dunkeln folgte dann plötzlicher Lichtglanz, und das Mysterium endete mit dem Schauen des Göttlichen.

Stellen wir neben diese auch von der Fachwissenschaft voll anerkannte Vorstellung von gnostischen Kulten neben diejenigen der Isaisbünde, so ist eine Unterscheidung kaum möglich. Die gnostischen Komponenten sind dort ohne jede Frage sehr groß gewesen, auf jeden Fall bezüglich vieler kultischer Handlungen, besonders betrifft dies die Mysterienspiele, welche in den Isaisbünden die Taten der Isais in vielfältiger Weise anschaulich machten. Kulterlebnisse solcher Art sind alt. Schon Platon hatte an die Sprache und das Erleben der Mysten angeknüpft, um den Sinn dessen zu erklären, was er unter der Idee verstanden wissen wollte. Darüber soll im nächsten Teil über die Gnosis näher gesprochen werden, denn Platons Definition der Idee ist geradezu klassisch-gnostisch – und exakt von diesem Punkte aus wird auch der isaisbündische Geist direkt faßbar.

       
               
               
     

       
               
               
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