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Z-Plan - Auszug-6

       
     
       
     

Geheimflug nach New York

       
     
       
     

Z-plan--Auszug-6

Geheimflug nach New York

(Auszug aus dem Schlüsselroman „Z-Plan")

Als er zurückkam, hing ein Zettel an der Tür: «Versuche es in einer Viertelstunde noch mal. Busch». Lukowsky zog den Wisch aus dem Türspalt und ging ins Büro. Er schüttelte die Thermoskanne – es war noch Kaffee drin. Er schenkte sich ein und schaltete dann das Fotokopiergerät an. Die Ablichtungen der Tagebuchblätter aus Domenico Alottis Nachlaß, die Astrid haben wollte, gelangen gut. Die Kopie von der Kopie wurde nicht gar so perfekt, aber für Lukowsky genügte es. Er bereitete das Kuvert für Astrid Xylander vor. Sie sollte es noch im Laufe dieses Tages erhalten. Dann nahm er Antonietta Alottis Brief zur Hand, um ihn zu beantworten. Er überlegte, ob er von der «Figura» und dem Erlebnis der vergangenen Nacht berichten sollte. Er war unschlüssig. Das Schellen an der Tür enthob ihn vorerst des weiteren Nachdenkens über diesen Punkt. Busch kam herein, mit den Worten: „Seien Sie gegrüßt, lieber Herr Lukowsky! So weit man hört, sorgen Sie hurtig für Fortschritte in unserer Sache!" Er stellte einen Regenschirm in die Ecke und zog seinen Mantel aus. Lukowsky sagte: „Ich weiß nicht, was Peter Fischer Ihnen erzählt hat. Kommen Sie rein." Sie setzten sich beim Schreibtisch zusammen. Auf das Angebot eines lauwarmen Kaffees verzichtete Busch dankend. Er knöpfte sein Jackett auf und meinte mit einem Anflug von Selbstironie: „Ich bekomme zunehmend ein Bäuchlein! Was soll man machen? Die Zeit!" Lukowsky steckte sich eine Zigarette an, und sagte: „Ich danke Ihnen für Ihren Besuch, Herr Busch. Es war ohnehin mein Wunsch, einmal in Ruhe mit Ihnen zu reden." Busch zeigte ein neugieriges Gesicht, in dessen Züge sich eine verhaltene Vorsicht mengte: „Ja, wirklich? Darf ich dann annehmen, Sie haben dafür eine besondere Ursache?" – „Ich habe", entgegnete Lukowsky: „Hat Fischer Ihnen erzählt, daß ich mit Herrn Valtine zusammengetroffen bin?" Busch nickte eifrig: „Das hat er, ja. Äußerst bemerkenswert! Genau darüber wollte auch ich mit Ihnen reden." – „Dann trifft es sich ja gut, " sagte Lukowsky, „wir werden uns nicht langweilen." Busch ließ ein gekünsteltes Lachen ertönen: „Nein, das werden wir gewiß nicht!" Lukowsky neigte sich vor: „Ich möchte zuerst etwas von Ihnen wissen, Herr Busch. Valtine erwähnte, Sie hätten mit Vera Jörgens’ Vater näher zu tun gehabt? Er hätte Ihnen sogar einige Sachen weggenommen, die Kapitänleutnant Jörgens gehörten? Was ist damals wirklich gewesen? Für Aufrichtigkeit wäre ich Ihnen dankbar!" Offenbar hatte Busch mit einem solchen Auftakt des Gesprächs nicht gerechnet. Dennoch gewann Lukowsky den Eindruck, als sei der ältere Mann gegenüber erleichtert, als habe Lukowskys Frage ihm gezeigt, daß etwas anderes, worüber zu sprechen er mehr gefürchtet hätte, durch Valtine nicht ans Tageslicht gekommen war. Lukowsky hatte das sehr deutliche Gefühl, daß es sich so verhielt, daß Busch und Valtine sozusagen eine gemeinsame Leiche im Keller hatten. Er versuchte einen Bluff: „Sie und Valtine sind nicht immer auf verschiedenen Seiten gewesen?" Die zuversichtlichen Züge wichen aus Buschs Mienenspiel. Er antwortete langsam: „Es war so... Die Dinge haben sich im Laufe der Zeit verschoben, wie ich mich ausdrücken möchte..." Busch zog sein ledernes Zigarettenetui hervor, drehte es zwischen den Händen und steckte es wieder weg. Lukowsky blieb freundlich, aber er forderte doch sehr direkt: „Bitte drücken Sie sich klar aus. Ich will alles wissen!" Busch rieb sich das Kinn, lächelte, zeigte eine resignierende Geste mit beiden Händen, und begann: „Dazu ist zunächst ein Ausflug in die Vergangenheit nötig. Sie könnten alles andere, besonders meine Lage, sonst nicht verstehen." Lukowsky lehnte sich zurück: „Ich höre Ihnen interessiert zu!" Busch nahm sich nun doch eine Zigarre, zündete sie an und berichtete: „Anno 1944 lernte ich Kapitänleutnant Jörgens kennen. Er gehörte einer ganz speziellen Einheit an, schwer zu durchschauen. Er persönlich ist kein leicht zugänglicher Mann gewesen, niemand, mit dem man schnell warm werden konnte. Das mag allerdings auch mit der damaligen Kriegslage zusammengehangen haben, es ging ja um Sein oder Nichtsein. Jörgens ist ein pflichtbewußter Mann gewesen, verhältnismäßig jung, aber der Art nach Offizier alter Schule. Mein Chef war Schellenberg; Reichssicherheitshauptamt – RSHA - Abteilung 6, SD. Vorher war ich bei einer Propaganda-Kompanie, PK-Mann – Kriegsberichterstatter – und kam dann zur Auslandsaufklärung. Ich spreche Englisch perfekt, wahlweise in britischer oder amerikanischer Tonlage. Zweimal bin ich mitten im Krieg in den Straßen von New York spazierengegangen. Einmal 1942 und dann nochmals 1944. So lernte ich übrigens Mark Valtine kennen. Das muß schon 1942 gewesen sein, ja. Aber meine damalige Tätigkeit hatte mit dem Späteren nichts zu tun. Jörgens war Canaris-Mann nachher dann, wahrscheinlich dank seiner Marinebeziehungen, eng mit Dönitz in Kontakt; aber auch mit hohen Offizieren der Luftwaffe. Es dürften zudem auch Querverbindungen zur SS bestanden haben. Ich durchschaue bis heute nicht, was im einzelnen Jörgens’ Aufgabe gewesen ist. Er war kein hohes Tier, aber er steckte tief im Geheimsten vom Geheimen, das steht fest. Ende 1944 erhielt ich von Kapitänleutnant Jörgens einen Auftrag. Wo er seine Dienststelle hatte, wußte niemand. Ich durfte mich im RSHA bereithalten. Dort herrschte damals kein besonders gutes Klima. Es gab unterschiedliche Auffassungen, jede Menge interne Rivalität, dazu Mißtrauen gegen die Canaris-Getreuen. Für Jörgens muß das beinahe feindliches Territorium gewesen sein. Wir trafen uns in einem kleinen, engen Zimmer: Er, zwei Offiziere der Luftwaffe und ich. Aber..." Busch lehnte sich zurück, die Stimmung des sich Erinnerns kam über ihn und er sprach nicht ohne innere Erregung weiter: „Damit begann das verrückteste Abenteuer meines Lebens! Wir hatten damals einen neuen Nachtjäger, den «Uhu», die He 219. Eigentlich gab es dieses Flugzeug schon seit zwei Jahren und wir hätten es dringend früher gebraucht, doch wegen der ewigen Intrigen im Reichsluftfahrtministerium, wurde es erst so spät eingesetzt, zu spät, dazu noch in kleiner Anzahl. Diese Maschine war äußerst fortschrittlich. Enorm stark bewaffnet und sehr schnell, obwohl verhältnismäßig groß, ein Zwomotorer. Eine solche He 219 war umgebaut worden. Alles, was nicht unbedingt nötig war, hatte man herausgenommen und dafür zusätzliche Treibstofftanks eingebaut. Dadurch war sie zugleich leichter geworden und noch schneller. Sie konnte jetzt, falls nötig, auch den besten feindlichen Jägern davonfliegen. Mit diesem Flugzeug, in das drei Personen hineinpaßten, sollte es nach Amerika gehen und wieder zurück! Im Dezember 1944! Meine Aufgabe sollte darin bestehen, einer Firma in New York, die offenbar von Gewährsleuten des SD betrieben wurde, einen Aktenkoffer zu überbringen, und anschließend noch eine deutschfreundliche amerikanische Familie in Newport zu besuchen. Drei Tage Aufenthalt in Amerika waren eingeplant. Es war kurz vor Weihnachten und alles sollte Schlag auf Schlag gehen. Ich hatte keine Gelegenheit mehr, noch mit irgendjemandem zu reden. Das war natürlich so geplant, eine Sicherheitsmaßnahme. Jörgens übergab mich sozusagen umgehend der Obhut der beiden Luftwaffenoffiziere. Heilig Abend 1944 würde für mich in New York stattfinden!" Busch machte seine Zigarre aus und faltete die Hände vor seinem zunehmenden Bauch. Es war deutlich zu spüren, wie ihn seine Gedanken in die Vergangenheit zurück schwebten und diese auf einen Moment wieder lebendig werden ließen. Er sprach weiter: „Wir hatten auf Grönland einen kleinen geheimen Stützpunkt, einen von mehreren. Der Feind wußte das, hat diesen aber nie entdeckt, auch nicht nach Kriegsende. Dahin war von einem unserer letzten noch aktionsfähigen U-Boote Treibstoff gebracht worden. Mit Zwischenlandungen dort, konnte unsere «Uhu»-Sonderausführung die Vereinigten Staaten erreichen und es auch wieder heim nach Deutschland schaffen, knapp aber doch, das war genau berechnet worden. Noch in derselben Nacht – ich erinnere mich genau, es war der 22. Dezember – startete unsere He 219 von einem getarnten Behelfsflugplatz am Stadtrand von Berlin in Richtung Grönland. Der Pilot war ein junger Leutnant, er hieß Günter. Zu meinem Erstaunen war die dritte Person an Bord ein junges Mädchen. Sie war hübsch, kaum älter als zweiundzwanzig und hatte eine Gretchenfrisur aus hellbraunen Zöpfen. Ihr Vorname war Elke, den Nachnamen nannte sie nicht. In der Maschine saß man in Reihe hintereinander. Den Piloten hatte ich vor mir, das Mädchen hinter mir. Wir flogen nach Norden. Über Funk bekamen wir Mitteilung, daß ein großer feindlicher Bomberverband, vermutlich von Nachtjägern begleitet, unseren Kurs kreuzen könnte, allerdings in größerer Höhe. Um der Gewichtsersparnis willen, war ein Teil unserer Bewaffnung ausgebaut worden, aber zwei sehr wirkungsvolle Maschinenkanonen besaßen wir trotzdem noch. Günter sagte, es jucke ihm in den Fingern, den gemeldeten Feindverband anzugreifen. Leider dürfe er das aber nicht. So flogen wir einsam durch die Winternacht. Es kam mir sehr still vor, obwohl die beiden Motoren unentwegt ihr eintöniges Brummen von sich gaben. Der Sternenhimmel bot sich in wunderbarer Klarheit dar. Davon fühlte ich mich regelrecht romantisch berührt. Ich dachte auch an das hübsche Mädchen hinter mir. Was mochte es zu dieser Mission getrieben haben? Ich hatte darüber keinerlei Unterrichtung, also berührte es auch meine Aufgaben nicht, denn Kapitänleutnant Jörgens pflegte sehr genau zu organisieren. Dieses Rätsel ließ mich aber doch nicht ganz los. Gerne hätte ich Elke gefragt, wußte aber im vorhinein, sie würde mir keine aufschlußreiche Antwort gegeben haben. Günter ging mit der Maschine tiefer. Wir durchflogen Schneeschauer. Zum Glück ist unser «Uhu» mit einer vorzüglichen Heizungsanlage ausgestattet gewesen, der Flug war keineswegs unangenehm.

Die Zwischenlandung in Grönland bereitete weniger Freude. Es stürmte, Schneewehen wirbelten über dem Boden, die provisorische Landebahn ließ sich kaum erkennen. Aber Günter brachte den «Uhu» doch anstandslos herunter. Hier verließ uns Elke. In Leder und Pelz vermummt, kletterte sie aus dem Flugzeug. Der Wind pfiff eisig um die gewölbte Glaskanzel herum. Ich beneidete Elke nicht, die, wer mochte wissen für wie lange, in dieser Schnee- und Eiswüste bleiben würde. Der anscheinend winzige Stützpunkt machte den Eindruck, als hätten ihn Eskimos errichtet. Aus der Luft, selbst im Tiefflug, war davon sicher sonst nichts zu erkennen. Die Besatzung schien nur aus fünf Leuten zu bestehen, beziehungsweise dann sechsen, da ja Elke am Ort blieb. Wir wurden mit Tee und gebratenem Fisch verpflegt. Auch ein notwendiges Örtchen stand zur Verfügung. Überhaupt war das Innere der Station gar nicht so unkomfortabel, es strahlte sogar eine gewisse Gemütlichkeit aus und war gut geheizt. Draußen wurden bei pfeifendem Wind die Treibstoffbestände der He 219 ergänzt. Ich hatte es unterdessen gemütlich. Trotzdem war ich froh, als wir unseren Flug wieder aufnahmen. Die Aufenthaltsspanne war so ausgelegt, daß wir Amerika zu dunkler Nachtstunde erreichen mußten.

Auf der Höhe von Island mußten wir aufpassen. Dort hatte der Feind zahlreiche Flugzeuge stationiert, um unsere letzten verbliebenen U-Boote im Atlantik zu bekämpfen. Es sind zu dieser Zeit gewiß nicht mehr viele gewesen, aber die amerikanischen Flugzeuge waren noch da, unseren Informationen zufolge vorwiegend viermotorige B-24. Die brauchte unsere schnelle Heinkel zwar nicht zu fürchten, doch wir durften nicht gesehen werden. Also stiegen wir auf größere Höhe.

Es war gegen Mitternacht, als wir die Küste der Vereinigten Staaten erreichten – Weihnachten! Ein unbeschreiblich sonderbares Gefühl. Tief unter uns sahen wir das flimmernde Lichtermeer von New York. Niemand brauchte hier an Verdunklung zu denken! Keiner würde hier ein deutsches Flugzeug vermuten! So flogen wir frech direkt über die Stadt. Das war nicht vorgesehen, aber risikolos und es machte uns Spaß. Günter hätte gute Lust gehabt, ein paar Bomben abzuwerfen. Mir lagen in dem Moment solche Gedanken sehr fern.

Nordwestlich von New York landeten wir auf einem Außengelände der befreundeten Firma, deren Büro in Manhattan ich aufzusuchen hatte. Ein Deutscher und vier Amerikaner nahmen uns herzlich in Empfang. Unser «Uhu» wurde in eine leere Fabrikhalle geschoben. Anschließend wurden wir bewirtet, es war wie zuhause – bloß daß wir eben Englisch sprachen. Diese Amerikaner schienen Idealisten zu sein, sie glaubten an die Sendung Adolf Hitlers für diesen Planeten. Eine unbeschreiblich bizarre Situation!

Tags darauf fuhr ich mit einem geborgten Oldsmobil nach Manhattan und erledigte meine Angelegenheit. Es dauerte keine fünfzehn Minuten. Dann hatte ich Zeit, streifte gemächlich durch die Straßen der Stadt. Und alles an diesem Krieg kam mir so unaussprechlich absurd vor! Da waren die gleichen Leute wie wir, viele von ihnen hatten deutsche Vorfahren. – Und es war Weihnachten...

Am nächsten Tag bin ich nach Newport gefahren, dorthin, wo die ganz reichen Leute wohnen. Das war ein Stück hin. Ich wurde von der Familie dort freundlich empfangen, ein Ehepaar mit vier Kindern. Auch hier: Weihnachten, Christbaum, beschauliche Fröhlichkeit. Sie waren keine Deutsch-Amerikaner, sondern überwiegend schottischer und schwedischer Herkunft. Auch diese Leute entpuppten sich als Idealisten, sie träumten von einer Ära ewigen Friedens und grenzenloser Gemeinsamkeit! Der Mann gab mir eine verschlossene Ledermappe mit, die ich Herrn Jörgens übergeben sollte. Die Hausfrau versorgte mich reichlich mit Verpflegung aller Art – sie war rührend! So bin ich also während der schlimmsten Kriegsphase im Herzen des Feindeslandes gewesen – und habe gute Freunde getroffen.

Der Rückflug verlief zunächst völlig problemlos. Bei unserem grönländischen Stützpunkt legten wir wieder eine Zwischenlandung ein. Zu meinem Erstaunen sah ich da jetzt, mit weissem Tarnanstrich, zwei Fw 190 der neuen D-Serie stehen. Es mußte hier also doch mehr geben, als der erste Eindruck gezeigt hatte. Es war aber nicht meine Sache, danach zu fragen. In der «Eishöhle», wie die Leute dort ihre Station nannten, begegnete mir auch Elke noch einmal. Zu meiner Verblüffung trug sie ein hübsches langes Kleid und die Haare hinten am Kopf zu einer Pferdeschwanzfrisur gebunden, wie man heutzutage sagen würde. Damals war das aber sehr ungewöhnlich. Ich muß zugeben, es kam mir kurios vor. Diese junge Dame schien dort durchaus keine untergeordnete Stellung innezuhaben. Manches kam mir immer rätselhafter vor. Beispielsweise: Sie hatten dort Bananen und Apfelsinen! Ich fragte Elke, wie das Zeug herkäme. Sie lächelte und sagte scherzhaft: Durch Luftschiffe! Anderes fehlte aber wohl doch. Ich hinterließ das meiste von dem, was mir die nette amerikanische Familie in Newport geschenkt hatte. Dann flogen wir weiter. Die beiden Focke-Wulf-Jäger waren spurlos verschwunden. Gestartet sein konnten sie nicht, denn dann hätten wir die Motoren gehört. Günter meinte, es gebe wahrscheinlich einen kleinen, nicht erkennbaren Hangar unter der Schneedecke. Starten und landen konnte ein Flugzeug hier fast überall, es war ringsum flach. Wir hoben problemlos ab und nahmen Kurs auf die Heimat.

Gefährlich wurde es erst, wie wir wieder über Deutschland waren. In der Nähe unseres Zielflugplatzes tummelte sich eine Schar von amerikanischen Jägern, Mustangs und Thumderbolds. Ich mußte unwillkürlich daran denken, daß die Piloten in den Feindflugzeugen auf uns schiessen würden, wie auch wir auf sie – obwohl wir doch gar nichts gegeneinander hatten! Wir würden uns wahrscheinlich sehr gut verstehen alle zusammen, unter ein und demselben Weihnachtsbaum sitzen und «Stille Nacht» singen. Aber es war ja Krieg – Bruderkrieg. Konnte es etwas noch Dümmeres, etwas noch Schlimmeres geben?!"

Busch unterbrach seine Erzählung. Er zündete sich eine frische Zigarre an, lächelte traurig und sprach dann in nüchternem Tonfall weiter: „Vier unserer Jäger fegten den Feindjägern unerwartet entgegen und griffen an. Einer der Feindjäger stürzte schon nach Augenblicken brennend ab, dann ein zweiter. Die hatten mit deutschen Jägern wohl schon gar nicht mehr gerechnet, würden jetzt die Hatz auf diese paar letzten oder vorletzten eröffnen. Ich konnte mich über die überraschenden Abschüsse einiger Gegner nicht freuen, obwohl uns dies den Weg zur gefahrlosen Landung freimachte." Busch streifte die erste Asche seiner Zigarre in den Aschenbecher: „So weit, Herr Lukowsky, über mein bemerkenswertestes Kriegsabenteuer. Ich verdanke dieses Erlebnis Kapitänleutnant Jörgens! – Als ich aber im RSHA die Ledermappe des Amerikaners ordnungsgemäß übergeben wollte – das heißt, nach Herrn Kapitänleutnant Jörgens fragte – erntete ich nichts außer mißtrauischen Blicken. Man erklärte mir schlichtweg, den gäbe es nicht, also könne er mir auch keinen Auftrag erteilt haben! Inzwischen mußte etwas vorgefallen sein. Man konnte damals ja leicht in Ungnade fallen. Bald erfuhr ich aber, bei einem Bombenangriff waren mehrere Angehörige der Abteilung 6 des RSHA ums Leben gekommen. Die anderen hatten keine Weihnachtsruhe gehalten, auch Heilig Abend: Tote. Ob Jörgens noch lebte, wußte ich nicht. Bei den mitunter extremen Geheimhaltungsmaßnahmen war es aber leicht möglich, daß nun mein einziger Verbindungsmann umgekommen sein könnte, und daher niemand mehr orientiert war. Oft wußte die eine Hand bei uns nicht mehr, was die andere tat. Ich nahm die Mappe also wieder mit. Niemand wollte sie haben. Aus Respekt, oder mehr aus Angst, falls doch noch wer danach fragen sollte, erbrach ich das kleine Messingschloß nicht, sondern ließ die Mappe verschlossen. Sehr bald wurde ich zu einem weiteren Auslandseinsatz kommandiert. Ich dachte mir, wer weiß, wie die Geschichte in der Heimat weitergeht, der Feind rückte unaufhaltsam näher. Also packte ich einen Koffer mit einigen mir persönlich wichtigen Sachen zusammen. Die Ledermappe aus Newport steckte ich auch mit hinein. Den Koffer brachte ich bei meiner vertrauensseligen Tante Elvira in Kassel unter. Dann ging es nach Übersee, und wie der Krieg aus und verloren war, hielt ich es für das Beste, erstmal im Ausland zu bleiben. – Jörgens habe ich wiedergesehen... im März oder April 1955! Die Mappe, ich gestehe, vergaß ich, ihm zu geben. Mark Valtine schnappte sie sich von mir – wir zogen damals zeitweilig an einem Strang oder unternahmen wenigstens den Versuch dazu. Der Inhalt der Mappe – ich weiß bis heute nicht, was es war! Jedenfalls ist Valtine wohl sehr enttäuscht davon gewesen. So lieferte er das amerikanische Angebinde von Weihnachten 1944 im Hause Jörgens ab. Er wollte sich bei dieser Gelegenheit mit Vera Jörgens aussprechen. Er wollte nicht als der Alleinschuldige am Tod ihres Vaters gelten, und das zu Recht. Mark Valtine ist nicht immer das Ekel von heute gewesen, das muß man sagen. Er war zwar allzeit ein gieriger Mensch, aber zumindest dennoch ein Mensch. Schon während des Krieges lernte ich ihn kennen, das erwähnte ich vorhin schon. Wir waren damals Gegner, logischerweise, aber keine erbitterten Feinde. Wir beide kannten noch Skrupel. Wenn Valtine zu einem teuflisch gefährlichen Wahnsinnigen wurde – der er jetzt unzweifelhaft ist! – so heißt wenigstens die Hälfte der Ursache dessen: Vera Jörgens. Ihr wiederum kann man es nicht anlasten, denn sie trägt keine Schuld an ihrem überempfindlichen Nervenbau. Mark Valtine hatte das Pech, im falschesten aller falschen Momente zu kommen…

Busch drückte seinen Zigarrenstummel aus und schüttelte den Kopf: „Doch das ist nun Vergangenheit, alles Vergangenheit! Bloß traurig." Eine kleine Pause trat ein. Dann sagte Lukowsky: „Danke für Ihre Erzählung." Busch machte eine fatalistische Geste: „Was soll’s, Herr Lukowsky! Es gibt eine Art von Unheil, die läßt sich reparieren, und eine andere, die eben nicht!

 
       
               
               
     

       
               
               
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