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                    Z-Plan  (Auszug-5)

       
     
       
     

1969  Mustang Mach 1

       
     
       
      Z-PLAN (Auszug 5 )

............ Der kleine Föhn in Veras Hand summte und blies in ihre dichten braunen Haare, die nur allmählich trockneten. Das Geräusch war leise, es störte die Worte nicht. Vera erzählte: „Das wichtigste, in großen Zügen, weißt Du schon. Ich bin sehr offen Dir gegenüber gewesen. Was jetzt noch zu sagen wäre, betrifft Kleinigkeiten. Aber es sind viele Kleinigkeiten, die ihre Bedeutung haben. Du solltest das alles wissen. – Löw, zum Beispiel, ist ein wohlhabender Antiquitätenhändler. Seriös eigentlich, kein unguter Kerl. Doch auch er hat sich mit in den Strudel des Wahnsinns begeben. Die idealistischen Ziele der alten Offiziere kennt er vermutlich nicht. Da bin ich mir aber nicht restlos sicher. Er ist nicht bloß raffgierig. Sein Wahn gilt antiken Kunstschätzen. Anfangs mauschelte er nur mit Busch und Fischer, jetzt offenbar auch mit Valtine; und das befremdet mich, denn ich hatte bisher keinen schlechten Eindruck von Löw. Ihm geht wohl es um außergewöhnliche, als verschollen geltende Kunstwerke, die angeblich in einer der geheimen Anlagen versteckt sein sollen. Die wenigsten wissen, daß noch immer einzigartige Kunstschätze verschollen sind, die aus den Museen vor den Brandbomben des Feindes in Sicherheit gebracht wurden, besonders in Berlin. Mit dem Z-Plan hatte das nichts zu tun. Es gibt das alles bestimmt noch, unversehrt, doch niemand weiß, wo. Es heißt, die SS habe das damals in die Hand genommen, und das ist wahrscheinlich auch wahr. Die Verstecke befinden sich vermutlich gar nicht weit von Berlin entfernt. Vieles ist erst ganz zuletzt in Sicherheit gebracht worden. Es muß wohl Hoffnung gegeben haben, Berlin zu halten und sogar, den Feind wieder aus Deutschland hinauszuwerfen. Wolfgang – ein Freund meines Vaters – hat mehrfach erzählt, eine neue Waffe wäre ganz dicht vor der Fertigstellung gewesen. Dr. Kammler hätte gesagt, mit dieser Waffe könnte sich alles noch zum Guten wenden, und das sogar ohne viel Blutvergießen auf beiden Seiten. Er, Kammler, soll von Luftscheiben gesprochen haben, so etwas, was man heute Fliegende Untertassen nennen würde. Es klingt wie Spinnerei, aber Kammler war kein Spinner. Er war vielleicht rücksichtslos, aber kein Phantast. Ob es stimmte oder nicht, geglaubt haben daran sicher noch manche Leute, wahrscheinlich auch Hitler, und vielleicht ging es viel knapper aus, als man es sich heute vorstellen kann. Auf jeden Fall sind die Kunstschätze, die jetzt als verloren gelten, erst sehr spät versteckt worden, wenigstens ein Teil davon. Weg oder zerstört sind sie ganz sicher nicht. Die Russen haben sie sicherlich auch nicht alle, noch sonst irgendwer. Ergo gibt es sie noch in unaufgefundenen Verstecken. Diese Angelegenheit hat Löw immer besonders fasziniert. Unterhalb Berlins soll ein geheimes Autobahnnetz verlaufen, das alle wichtigen Punkte miteinander verbindet: Die Reichskanzlei und den Reichstag, den Führerbunker und die Hauptquartiere von Wehrmacht, Abwehr und Reichssicherheitshauptamt, also auch der SD. Esoterisch angehauchte Leute meinen, außerdem gibt es eine Verbindung zu einem alten unterirdischen Bauwerk der Tempelritter. Das Geheimarchiv der Neuen Reichskanzlei hat auch noch keiner einsehen können, denn es gibt da eine Vorrichtung, die das Wasser des Wannsees hineinleitet, so bald es jemand versucht. Und natürlich gab es Austrittsstellen zu mindestens zwei Flugplätzen. Hitler und die anderen im Bunker hätte sich bestimmt leicht verdrücken können, wenn sie gewollt hätten. Aber selbstverständlich wäre das eine ehrlose Flucht gewesen. Auf jeden Fall gibt es da vieles, wovon noch niemand auch nur die Hälfte weiß. Sicherlich sind die Kunstschätze nicht irgendwo in einem See versenkt worden, sondern liegen woanders, wenigstens die wertvollsten. Das ist, soweit ich weiß, ein ganz spezielles Anliegen von Löw. Ich kann mir einfach nicht denken, daß er sich mit Valtine zusammengetan haben sollte. Und in den Z-Anlagen gab es keine Kunstschätze, dafür waren die nicht ausgelegt. Mein Vater sprach jedenfalls nie davon, daß es dort auch Kundegegenstände gibt. Ich glaube, Busch hat das bloß erfunden, um Löw für die Finanzierung seiner Ziele zu gewinnen. Busch ist vielleicht nicht so klug wie Fischer, aber ein Fuchs – und in seiner Besessenheit skrupellos. Er weiß beispielsweise, daß Löw unbedingt eine mittelalterliche Statuette haben will, die eine wenig bekannte Mythenfigur zeigt, eine junge Frau in Knabenkleidung, die einen magischen Kristall zum Untersberg bringt. Das hat in gewissen Kreisen eine besondere Bedeutung. Sie glauben, die Geschichte ist wahr, und dieser Kristall im Untersberg zieht die Kräfte des Neuen Zeitalters dorthin an. Es gibt sogar Leute die behaupten, deshalb hätte Hitler sich seinen Wohnsitz am Obersalzberg bei Berchtesgaden eingerichtet, so daß er durch das große Fenster des Arbeitszimmers immer direkt auf den Untersberg sehen konnte. Wahrscheinlich ist das ein Märchen, aber wenn jemand so versessen auf diese Statuette ist, kennt er das vielleicht. Löw ist jedenfalls ein Mann für solche Raritäten." Lukowsky fragte: „Sagt Dir der Name Stephan etwas? Ein ehemaliger U-Boot-Fahrer? Er war gestern bei dem Zusammentreffen mit Busch und Fischer dabei." Vera staunte: „Stephan? Natürlich kenne ich ihn! Er war mit meinem Vater gut bekannt. Ich dachte nicht, daß Stephan sich da hineinziehen läßt." – „Mein Eindruck ist", bemerkte Lukowsky: „Stephan gibt nur Hinweise und Geld. Er machte auf mich nicht den Eindruck, als sei er versessen auf die Sache." - „Dann erscheint es halbwegs logisch", nickte Vera: „So ein bißchen die Nase rein halten, das ja, aber nicht wirklich hineinstecken; das paßt zu Stephan, er ist ein vernünftig denkender Mann, auf seine Art sehr bodenständig. Er ist auf alle Fälle ein geradliniger Mann." Die Frau wurde nachdenklich, ihr Blick schien auf einmal in eine unsichtbare Ferne gerichtet zu sein. Ihre Stimme nahm einen leisen Klang an, doch jedes ihrer Worte kam sehr deutlich: „Leider war mein Vater ganz anders. Er ließ sich begeistern, von Busch, von Beekn – und von Valtine... Das hat ihn ruiniert. Valtine hat meinen Vater dazu gebracht, immer mehr Geld für die geheimnisvolle Angelegenheit zu geben, bis schließlich die Firma dadurch zusammenbrach. Da hat sich Vater erschossen. Meinem Bruder gelang es wider erwarten, die Firma zu retten, obwohl er Jurist und kein Kaufmann ist." Vera unterbrach ihre Erzählung. Sie betastete ihre noch feuchten Haare und sagte unvermittelt: „Wenn ich tot bin, will ich nicht verscharrt, sondern verbrannt werden. Das stelle ich mir schön vor, auf einem Langschiff in See verbrannt zu werden – so wie einstmals die Wikinger." Ihre Mundwinkel zitterten. Ein quälender Schauer durchzuckte Ernst Lukowsky. Er sagte: „Denk’ nicht ans Sterben, Dulcinea, liebe, Du bist jung! Viel jünger als ich! Du hast noch so vieles vor Dir – Schönes, Wunderbares!" Sie schüttelte ganz leicht mit dem Kopf und lächelte schwach, ein stilles, stolzes Lächeln: „Ich werde früher sterben als Du, Don Quijote. Das spüre ich. Und es ist nicht schlimm!" Ihr Blick bat: «Sage jetzt nichts und frage nicht». Lukowsky empfing es wie aus ihren Gedanken, ganz deutlich. Er schwieg, ohne sie zu verstehen. Der arabische Philosoph Abd el Kadr soll einmal gesagt haben, Mann und Frau seien so verschieden, daß sie einander nie vollkommen verstehen könnten, und Liebe heiße darum, Gemeinsamkeit ohne vollkommenes Verstehen.

Vera schlug die Augen nieder und ließ den Luftstrom des Föhns wieder in ihre Haare blasen. Nach ein paar Momenten des Schweigens sprach Vera Jörgens in sachlicher Weise weiter: „Wenn Stephan auf der Bühne erschienen ist, spricht das dafür, daß die Geschichte mit dem U-Boot wahr ist. Davon wurde früher schon geredet, wenn auch immer nur vage. Einige wichtige Dinge sollen sich noch auf einem U-Boot befinden, das auf Grund gesetzt wurde. Ich weiß allerdings nicht, wo. Es muß wohl zu spät gewesen sein, um diese Sachen noch in eine der unterirdischen Anlagen zu bringen. Vielleicht steckt auch noch mehr dahinter, ich weiß nicht". Lukowsky bestätigte: „Um das geht es. Das U-Boot liegt angeblich in der Nähe von Toulon vor der Mittelmeerküste. Ich soll mich darum kümmern. Zusammen mit einem Mann namens Alotti." Vera merkte auf: „Domenico Alotti? Der ist nett! Er hat uns früher des öfteren besucht. Ein sehr kluger und gebildeter Mann. Ein wenig Mystiker. Seine Tochter, Antonietta, beschäftigt sich mit Okkultismus, Magie und so weiter. Allerdings mehr akademisch als praktisch, glaube ich. Sie ist sehr gescheit." Vera lächelte ihn an: „Antonietta, die würde Dir gefallen. Es heißt, sie sehe mir ähnlich!" Das Lächeln blieb auf Veras Gesicht, wurde aber schwächer, als sinke es tief in sie hinein. Sie sprach: „Es gibt ein paar Träume aus meiner Kindheit... Sie sind längst nicht mehr wahr, und trotzdem denke ich gerne daran."

......... Vera Jörgens kam auf andere Themen zu sprechen: „Domenico Alotti gehörte im Krieg einer berühmten italienischen Einheit an, die «Decima» genannt würde. Die Torpedoreiter des Principe Junio Valerio Borghese. Irgendwie hängt das alles zusammen, aber jede Einzelheit weiß auch ich nicht. Jetzt wird mir aber etwas klar: Alotti lebt seit Jahrzehnten in Toulon! Das ist sicher kein Zufall. Er war Kampftaucher... Und er kennt Busch! Alotti hat auch Valtine einmal kennengelernt, aber den mochte er nie, ich bin mir ziemlich sicher, daß er nicht mit Valtine zusammengehen würde. Doch es könnte sein, daß Alotti weiß, wo das U-Boot liegt und auch hinein kann. Wenn es bei Toulon ist, wo er ja wohnt? Wie gesagt: er ist ein erfahrener Taucher!" Vera war mit dem Kämmen noch nicht ganz fertig, als sie bat: „Läßt Du mich jetzt für eine Weile allein, daß ich mich anziehen kann? Es dauert sowieso noch eine Zeit, bis meine Haare wenigstens ungefähr trocken sind. Ich kann es nicht ändern."

......... Sie fuhren weiter in Richtung Essen. Dort hatte Vera noch immer ein Zimmer im Kaiserhof. Der Himmel war bedeckt, doch die von ferne drohenden Regenwolken verzogen sich. Schüchtern kamen Sonnenstrahlen zwischen den Wolken hervor.

Sie fuhren über die Autobahn. Vera hatte ihre Notizen beendet und Lukowsky das ledergebundene Büchlein gegeben. Nun sprach sie von Dingen, die sie liebte: Richard Wagner, besonders «Liebestod» aus Tristan und Isolde und «Wotans Abschied» aus der Walküre; aber auch den 2. Satz von Rodrigos Concierto de Aranjuez, und literarisch die Dichtungen Homers, namentlich in der alten Voß-Übertragung aus der Schiller-Zeit. Die Frau wirkte unbeschwert, das erleichterte Lukowsky sehr. Vielleicht war ja doch nicht alles so gewesen, vorhin, und die Straßenecke war keine wichtige Wegkreuzung gewesen?

Bei einer Autobahnraststätte legten sie eine Pause ein. Nicht, weil das nötig gewesen wäre, sondern weil sie Lust dazu verspürten. Noch nie hatte Lukowsky Vera so fröhlich erlebt wie gerade jetzt. Auch Lukowsky fühlte sich jetzt leicht – wie seit langem nicht mehr.

Als sie das Restaurant der Raststätte verließen, holte sie die rohe Gegenwart ein. Vera streckte den Finger möglichst unauffällig in eine Richtung aus und sagte mit plötzlich belegter Stimme: „Da!" - Ein dunkelblauer Pontiac wartete in reichlich hundert Metern Entfernung mit laufendem Motor. Lukowsky deutete ungeniert auf die große Limousine: „Der hat Heinz umgebracht?" Vera zuckte ein wenig zusammen: „Ja." Lukowsky sagte: „Setz Dich ins Auto!" Er wartete keine Widerrede ab. Er zog den Reißverschluß seiner Jacke auf, um schnell zur Waffe greifen zu können, und ging geradewegs auf den dunkelblauen Wagen zu. Zwei Männer saßen darin. Der Fahrer und ein zweiter Mann im Fond. Die mittlerweile freigewordene Sonne strahlte hell aber noch kraftlos über die Landschaft. Lukowsky hörte hinter sich Vera aufgeregt rufen: „Nicht! Geh nicht hin!" – Er ging weiter. Der Fahrer im Pontiac gab Gas und ließ den Wagen langsam anrollen. Ein orangeroter Kleinwagen kreuzte den Weg, verschwand dann in Richtung Autobahn. Das Feld war wieder frei. Lukowsky schritt weiter. Die Frauenstimme in seinem Rücken rief etwas. Er achtete nicht darauf. Auf dem dunkelblauen Lack des Pontiacs reflektierte Sonne. Der Fahrer hatte wieder gebremst. Die Sonnenreflexe blendeten von mal zu mal. Die Vorderräder des Pontiacs wurden eingeschlagen, aber er verharrte an seinem Platz. Nur das Motorengeräusch wuchs zu dumpfem V8-Blubbern. Bis auf etwa dreißig Meter war Lukowsky herangekommen: Reifen kreischten – Motorengebrüll – der Pontiac schoß vor wie ein blindwütig angreifendes Tier, er stürzte auf Lukowsky zu. Dieser sprang zur Seite. Doch auch der Wagen wich aus und raste bis dicht an den Mustang heran. – Vera floh ins Rasthaus.

Die rechte Fondtür des Pontiacs wurde aufgestoßen. Ein gellender Knall durchschlug den Morgen, dann noch ein zweiter. Auch Lukowsky hatte seinen Revolver gezogen und schoß. Glas splitterte an dem Pontiac, von irgendwo tönte ein Schrei. Mit offener Tür stob der dunkelblaue Wagen davon. Nach einigen Metern Fahrt klatschte die Tür von alleine zu. – Lukowsky rannte zu seinem Auto und sprang hinein. Während er den Zündschlüssel ins Schloß steckte, kam auch Vera. Ihre Hände gestikulierten temperamentvoll, sie rief mit geweiteten Augen: „Don Quijote! Was tust Du?!" Lukowsky trat das Gaspedal durch. Der Mustang beschleunigte. Vom Pontiac war aufgrund der kurvenreichen Strecke und den rechts und links stehenden ersten Häusern des nahen Ortes nichts mehr zu sehen. Er blieb auf der Hauptstrasse. Vera schalt ihn noch immer. Er hörte nicht hin, sondern sagte nur: „Jetzt ist Schluß! Erst Felix, dann Heinz!" Er wandte sich Vera zu: „Ich muß die jetzt kriegen! Es geht dem Drachen ans Leder!" Der Blick der Frau wurde ruhig, der Hauch eines Lächelns trat auf ihre Lippen, ihre Stimme klang kühl und bestimmt: „Gut! Dann beginne heute das Jüngste Gericht!"

Mit hoher Geschwindigkeit fuhr Ernst Lukowskys weinroter Ford Mustang durch die kleine Ortschaft. Eine unübersichtliche von Wald gesäumte Landstraße schloß sich an. Dann erhöhte er das Tempo. Das bei «Wellmeyers 1A-Gebrauchtwagen» erstandene Auto made in Detroit bewährte sich, trotz abgefahrener Reifen und manchen Roststellen, von denen auch die Auspuffanlage befallen war. Lukowsky dachte jetzt nichts außer an sein augenblickliches Ziel, nur die dunkelblaue Pontiac-Limousine schwebte vor seinem inneren Auge. Technisch gesehen war es ein amerikanisches Duell: Ford gegen General Motors. Grasfetzen und kleine Steine flogen bei jeder zu scharf genommenen Kurve auf. Die Landschaft hastete in verzerrten Bildern an den Autofenstern vorbei. Lukowsky wurde heiß. Er überholte einen Lastzug, einen Personenwagen und einen Bus. Erdbrocken wirbelten hinter dem Mustang durch die Luft. – Eine gerade Strecke kam. An deren Ende bewegte sich etwas, das ein dunkelblauer Pontiac sein konnte. Der Mustang schoß voran. Das dunkle, bläuliche Etwas vor ihnen wurde größer, deutlicher, die Formen erkennbarer – es verschwand hinter einer Kurve. Im Anschluß an diese Biegung erstreckte sich eine lange Gerade, von einem Güterweg gekreuzt. – Der dunkelblaue Wagen war nicht mehr da. Lukowsky hielt auf offener Strecke an: Er verschränkte die Arme über dem warmen, schweißnassen Lenkrad und sagte zu sich selbst: „So weit kann der noch gar nicht sein!" Er wendete den Blick und sah die Frau auf dem Beifahrersitz an: „Vielleicht ist der abgebogen, aber wo? In den Wald hinein kaum. Da käme der mit seiner Schüssel nicht weit."

Vera berührte sachte seine Schulter. Ihr Gesicht war ein wenig bleich, doch ihre Stimme klang fest: „So geht es nicht! Man muß ihn anders packen, mit Raffinesse im richtigen Augenblick!" – Lukowsky sah sie an und erwiderte schnell: „Es geht nur so, Vera! Du wirst sehen! – Irgendwo müssen die hier in der Nähe abgebogen sein, so unwahrscheinlich es auch erscheint!" Er rangierte zurück, bremste wieder, stieg aus und überblickte das Gelände. Kopfschüttelnd stieg er wieder in den Wagen: „So was gibt’s nicht!" Er fuhr noch ein Stück rückwärts, hielt an und sah sich um. Vera Jörgens schöne schmale Hände mit den langen spitzen Fingernägeln verkrampften sich still im Stoff des türkisfarbenen Rocks. Sie sagte halblaut: „Merkst Du denn nicht, daß alle denken, Du hättest das Paket? Das zeigt sich doch jetzt ganz klar! Sie kennen Deinen Wagen. Darum lauerten sie Dir auf. Aber jetzt wollen sie noch keinen Zusammenstoß mit Dir, sie wollen Dich nur beobachten weil sie denken, irgendwann führtest Du sie zu dem Paket." Er sagte laut: „Das ist mir ganz egal! Und ich will aus Gründen des guten Benehmens nicht näher äußern, wie egal mir das ist! Jetzt werden die Burschen lernen, was der Ernstfall mit einem alten Soldaten heißt!" Er drehte sich um und stützte die Ellenbogen auf das schwarze Kunstleder der Rückenlehne des Fahrersitzes: „Wo sind die nur hin! In die Erde gefahren sein können sie nicht – dahin bringe ich sie erst noch persönlich!" Er dachte laut nach: „Aber ich sehe hier keinen Weg, der breit genug wäre." Vera meinte: „Vielleicht haben Sie sich ja einfach nur in dem Waldweg versteckt, haben uns vorbeisausen lassen und sind dann umgekehrt? Valtine ist nicht der Mann, der selber herumschießt wie im Wilden Westen, das läßt er andere tun. Ich nehme an, es war so: Sie haben uns vorbeigelassen und sind dann umgekehrt. Wahrscheinlich ist Valtine inzwischen sogar ausgestiegen und fährt per Taxi zum nächsten Bahnhof. Er riskiert nicht einmal, wegen zu schnellen Autofahrens bei der Polizei aufzufallen. Man kennt seinen Namen bei höheren Stellen. Ich glaube, von einigen wird er da auch gedeckt. Aber bestimmt nicht von allen. Er ist sehr vorsichtig." Lukowsky nickte: „So könnte es sein!"

Der Wagen schwang tief in den Federn, als er die Böschung hinab auf die Wiese rollte. Tatsächlich fanden sich dort Reifenspuren. Sie folgten ihnen. Das friedliche Bild der Landschaft und die nun beinahe warm strahlende Sonne verliehen dieser Fahrt auf einmal eine geradezu ferienhafte Stimmung. Eine große Ruhe breitete sich auf einmal in Ernst Lukowsky aus. Die Verfolgung des dunkelblauen Autos empfand er plötzlich wie eine lästige Pflicht. Auch Vera schien von dieser sonderbaren Stimmung erfaßt zu sein. Sie sprachen nicht. Langsam rollte der Mustang über das Gras. Die Spur, der sie folgten, schlug einen Bogen um ein kleines Waldstück herum, um danach wieder auf der Straße zu münden. Lukowsky hielt noch vor der Straße an und stieg aus. Auch Vera Jörgens stieg aus. Sie sahen sich über das Autodach hinweg an. Vera fand zu einem Lächeln. Lukowsky stützte einen Arm auf das Wagendach, das Kinn mit der Hand stützend: „Lach’ mich ruhig aus! Die Burschen haben ‘ne Runde gedreht, haben uns vorbeirasen lassen und sind dann zurückgefahren, genau wie Du vermutet hast. Ich bin ein Idiot! – Aber immerhin: Der Drache hat «Notung» fürchten gelernt." Dabei klopfte er auf seinen schweren Single-Action-Revolver, dessen Vorlage weiland die Helden des Wilden Westens bevorzugten. Vera lächelte still, der Vergleich mit dem Schwert des Drachentöters schien ihr zu gefallen. Dann verfiel sie ins Grübeln: „Ich begreife nicht, wer hat das Paket!? Du hast es nicht. Aber Valtine und andere scheinen zu denken, Du hättest es. Löw suchte es bei Dir, beziehungsweise bei dem alten Mann, dem Du es womöglich hättest geben können. Also hat Busch es auch nicht, denn der steht mit Löw in Verbindung – wie jetzt ja auch Valtine – der es ganz offenbar auch nicht hat. Nun, ich komme nicht in Frage. Wo ist es dann? Denn irgendwo muß es sein – das echte oder das falsche oder alle beide – es muß irgendwo solch ein grünes Paket geben, und wenn es bloß das falsche ist." Lukowsky überlegte einen Moment. Er kniff die Augen gegen die Sonne zusammen: „Bald werde ich ‘s wissen, verlaß’ Dich drauf! Es gibt wohl nur zwei Möglichkeiten, ja, ich denke, nur zwei." Veras Augen blickten ihn auffordernd an: „Also? Sag’s mir!" Er schüttelte den Kopf: „Nicht was Du vielleicht denkst, Vera. Die Sache liegt viel einfacher. – Oder zumindest könnte es so sein." Sie beharrte: „Sag’s ‘s mir!" Lukowsky schwang sich vom Kotflügel des Wagens und stellte sich vor sie hin: „Die erste Möglichkeit ist, dieses geheimnisvolle Paket schlummert immer noch an seinem Ursprungsort, und die Attrappe ist mittlerweile aus dem Verkehr gezogen worden. Zweite Möglichkeit..." – Er griff sich nachdenklich ans Kinn. Seine rechte Hand untermalte, als müsse er sich entschuldigen: „Schau..." – Er blickte ihr in die Augen: „Mein Freund Felix – der abgestürzt ist – er war ein ganz ausgezeichneter Flieger. Aus diesem Grund glaube ich auch fest an einen Sabotageakt! – Aber..., man will die Fehler bei Freunden wohl oft nicht wahrhaben... Wie gesagt, Felix war ein sehr guter Flieger, hatte Erfahrung, alles... – Doch einen Fehler hatte auch er: Er spielte zu gerne Luftakrobatik, machte die tollsten Manöver und die wildesten Sturzflüge..." – Lukowsky blinzelte nochmals in die Sonne: „Manchmal – wenn ich ganz und gar ehrlich gegen mich bin – frage ich mich, ob Felix nicht doch durch eigene Schuld abgestürzt sein könnte. Oft genug hab’ ich gedacht, irgendwann übertreibt er’s". Lukowsky sah wieder in das schöne Gesicht der Frau. Er sagte: „Dann läge das geheimnisvolle Paket jetzt irgendwo im ewigen Eis eines Gletschers, sofern es an Bord der Maschine gewesen ist. So könnte es sein." Er schwieg und betrachtete die Grashalme zwischen seinen Füssen. Auch Vera schwieg. Endlich brach sie mit gesenkter Stimme die Stille: „Wie sollten wir es da jemals finden? Falls wir es unbedingt haben wollten!" Lukowsky begegnete ihrem zweifelnden Blick und deutete ein Kopfschütteln an: „Niemals, Vera, niemals würde es jemand finden – höchstens irgendwann nach Jahr und Tag ein Bergsteiger durch puren Zufall. – Aber es ist selbstverständlich nicht sicher, daß das Paket im Flugzeug war." Er steckte sich eine Zigarette an und überlegte: „Rein theoretisch gäbe es auch noch eine Möglichkeit. Als ich mit dem Paket unter’m Arm zu Wenzl kam, schnappte er es sich sofort und verschwand damit für eine knappe Viertelstunde. Da hätte er es austauschen können. Allerdings nur, wenn er gut vorbereitet gewesen wäre. Aber dann hätte er das hinkriegen können. Es ist zwar sehr unwahrscheinlich, aber nicht restlos unmöglich. Dieser Brünner lief ja auch bei ihm in der Firma herum. Der könnte Wenzl dazu gebracht haben." Lukowsky winkte sich selber ab: „Das ist zu unwahrscheinlich!" Veras Gedanken schienen die seinen nachzuvollziehen. Sie sagte: „Es ist unwahrscheinlich – aber, wie Du selbst sagst, nicht unmöglich. Ich werde darüber nachdenken. Dieser Herr Wenzl gehört sicher nicht zum inneren Kreis des ganzen, das wüßte ich. Aber trotzdem..." Sie blickte auf: „Fahren wir weiter?" – Lukowsky ging auf die andere Seite des Wagens: „Soll ich Dich jetzt nach Essen zu Deinem Hotel bringen? Oder was möchtest Du?" Sie überlegte ein paar Sekunden, sagte dann: „Doch, bringe mich zum Kaiserhof. Ich werde nicht dort bleiben, aber meine Sachen holen. Ich habe eine Wohnung, direkt am Rhein. Niemand weiß das. Alle denken, ich lebte ständig in Hotels und sonst in dem Lande Nirgendwo. Aber Dir werde ich meine Anschrift geben."

Sie stiegen ein und fuhren weiter, wieder in Richtung Autobahn. Sie fuhren gemächlich, ohne Eile. Das Wetter war angenehm, die Landschaft malerisch. Eine Tankstelle kam in Sicht – und eine dunkelblaue Pontiac-Limousine, die von dort aus auf die Landstraße rollte. Jetzt verwandelten sich die Dinge innerhalb von Augenblicken. Vera sagte kühl: „Laß’ ihn. Valtine ist nicht im Wagen, das ist nur einer seiner Schläger-Heinis." Lukowsky erwiderte: „Aber vielleicht führt ja der Heini zum Heinrich!" Vera sagte noch etwas, doch diese Worte gingen wie bizarre Geräusche im Lärmen des Motors und einer nicht ganz einwandfreien Auspuffanlage des alten Mustangs unter. Lukowsky schnitt die nächste Kurve, zog an einem Kleinbus vorbei, jagte zwischen einem zu überholenden und einem entgegenkommenden Wagen hindurch, er fegte über Randstreifen und Grasnarben, so daß, die Fetzen flogen. Dabei strahlte die Sonne heiter vom Himmel. Der Mustang überholte einen Bus und war nun schon verhältnismäßig dicht hinter der dunkelblauen Limousine. Die Jagd führte an Feldern und Äckern vorbei, durch ein Stück Wald und an Rapsfeldern entlang – wie die Straße ihren Weg nahm: Wiesen, wieder ein Waldstück. Wieder Felder und Äcker. – Eine kleine Ortschaft kam in Sicht. Den Namen auf dem Ortsschild verzerrte die Geschwindigkeit und machte ihn unleserlich. Reflexhaft duckte sich die Frau auf dem Beifahrersitz, als Bahnschranken kamen – doch die Schranken senkten sich nicht. Mit einem kurzen Holpern sprang der Mustang über die Gleise und stieß in die Ortschaft hinein, dem großen dunkelblauen Pontiac schon dicht auf den Felgen. Häuserfronten schienen entgegenzurasen, Reifen quietschten, eine Frauenstimme rief etwas. – Lukowsky verspürte Schweiß auf der Stirn. Sein Wagen schoß durch die kleine Stadt, einer dunkelblauen Limousine folgend. Fußgänger hasteten erschrocken nach allen Seiten auseinander; Autos bremsten ruckartig, gerieten ins Schleudern, stießen gegeneinander, hielten am Straßenrand. Der dunkelblaue Wagen wich einem entgegenkommenden Porsche über den Bürgersteig aus und schlitterte funkensprühend an Hauswänden entlang. Eine Schaufensterscheibe zerklirrte, Hupen gellten; ein aus der Auslage hinter dem zersplitterten Schaufenster eines Spielwarenladens gepurzelter mechanischer Stoffhase hoppelte ungerührt über das Schlachtfeld der Straße. Die kleine Innenstadt war durchquert, es ging jetzt durch die Randbereiche. Der dunkelblaue Wagen nahm ein offenstehendes Vorgartentor mit; die hoch aufwirbelnden Lattensplitter trafen auch noch Lukowskys Auto. Abermals hasteten Menschen kopflos auseinander, eine Einkaufstasche fiel runter und verstreute ihren Inhalt auf das Pflaster, und wieder splitterte irgendwo Glas. Dann kündigte ein gelbes Schild endlich das Ortsende an. Aber während der Fahrt durch die Stadt hatte der Pontiac ein paar Längen Vorsprung gewonnen. Hinter dem Ortsende kam eine Gruppe Kinder auf Fahrrädern entgegen. Der Pontiac raste mitten hinein, rammte zwei Radfahrer nieder, geriet kurz ins Schleudern und setzte die Fahrt fort. Lukowsky lenkte im Slalom zwischen den stehenden und gestürzten Radfahrern hindurch. Hühner hüpften auf die Straße, wo der Pontiac abermals ein Stück Gartenzaun mitgenommen hatte, und entkamen aufflatternd der Gefahr. Auf einmal überlegte es sich der Fahrer des dunkelblauen Wagens anders. Er versuchte eine 180-Grad-Wendung aus voller Fahrt. Das Manöver mißglückte. Der Pontiac geriet ins Schleudern, jede Kontrolle versagte – er prallte voll gegen ein Transformatorenhäuschen am Straßenrand. Dem Krachen des Aufpralls folgte eine sofortige Explosion. Der verunglückte Wagen ging in lodernden Flammen auf. Lukowsky trat auf die Bremse, gab dann wieder etwas Gas, zog die Handbremse leicht an und vollzog das Wendemanöver auf der Stelle erfolgreich. Er lenkte ein Stück zurück und bog dann in einen schmalen Weg, der zu Schrebergärten führte. Er stieg aus und ging an dem brennenden Pontiac vorbei zu dem Unfallort der Radfahrer. Es hatte sich noch kein Menschenauflauf gebildet. Ein Kind lag auf der Strasse, rappelte sich aber gerade ohne nennenswerte Verletzungen auf. Ein Huhn gackerte dazu. Ein zweites Kind saß weinend, aber unverletzt am Straßengraben. Lukowsky verscheuchte das Huhn und trug das Kind von der Straße. Jetzt kamen auch andere Leute, unter ihnen eine zweite Radfahrergruppe und ein Mann im Laufschritt mit Arzttasche. Von ferne wurde schon das Heulen der Sirenen eines Krankenwagens vernehmbar. Lukowsky ging zurück. Niemand achtete auf ihn. Schaulustige umringten das mittlerweile ausglühende Wrack einer ehemals dunkelblauen Limousine des Typs Pontiac Grand Prix.

Der Ford Mustang stand für all jene Menschen unsichtbar hinter der hohen Hecke des Schrebergartenwegs verborgen. Lukowsky gelangte zu seinem Wagen. Dieser parkte in der Sonne auf dem Weg, der kaum mehr als ein erweiterter Trampelpfad war. Die Beifahrertür stand offen. Vera war nirgends zu sehen. Lukowsky schaute sich um. Von der Frau keine Spur. Er ging sie suchen. Nach ein paar Schritten bemerkte er ein Rascheln im Heckengesträuch. Vera lugte vorsichtig aus ihrem Versteck. Lukowsky sah sie an: „Es ist alles in Ordnung." Vera kam hervor und setzte sich in den Wagen. Sie sagte ohne Betonung: „Ich sollte doch die Pistole meines Vaters mitnehmen." Lukowsky stimmte zu: „Das wäre keine schlechte Idee. Auch ohne Z-Pläne leben wir leider in einer Zeit, in der eine Frau eine Waffe gebrauchen kann. Falls Du die Pistole nicht findest, besorge ich Dir eine." Vera sah ihn an: „Danke. Wenn, dann bevorzuge ich Vaters Pistole. Wir haben auch noch einen Revolver, aber ich nehme lieber seine alte Dienstwaffe. Er hat mir beigebracht, wie man schießt. Ich kann es und werde, wenn nötig, auch treffen." Abermals meinte Lukowsky zu spüren, wie alles, was mit ihrem Vater zusammenhing, für Vera Jörgens von ganz besonderer Bedeutung war. Die gedankliche Berührung mit dieser Erinnerung schien ihre Verfassung verändert zu haben. Sie sagte trocken: „Das hat nichts eingebracht." Lukowsky wunderte sich über Veras kühles Verhalten. Sie sah ihn an: „Allerdings ist es nicht schade um den Strolch. Wahrscheinlich hat er den alten Mann in der Werkstatt umgebracht. Doch Herrn Valtine, den muß man sich anders holen." Lukowsky versicherte: „Das kommt auch noch. Du wirst den Kopf des Drachens bekommen!" Vera richtete den Blick nach vorn und schwieg. Lukowsky überlegte, ob sie enttäuscht darüber war, daß ihr alter Feind Valtine nicht in dem verunglückten Wagen gesessen hatte und mit verbrannt war. Ihr Gesicht hatte einen strengen Zug angenommen, sie schien auf einen Moment mit ihren Gedanken allein sein zu wollen. Womöglich waren es Gedanken der Rache – oder auch völlig andere. Es wollte Ernst Lukowsky nicht gelingen, das Wesen dieser Frau zu begreifen.

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Er war sehr früh aufgestanden, hatte Kaffee gekocht und statt eines Frühstücks ein paar trockene Kekse gegessen, deren Ursprung ungeklärt war; wahrscheinlich stammten sie noch von Felix. Einige der noch nicht bezahlt gewesenen Möbel des Büros hatte Bernd Meissner zurückgegeben. Eine entsprechende Nachricht hatte Lukowsky am vergangenen Abend mit Tesafilm an der Innenseite der Eingangstür vorgefunden. Die Rückgabe der Möbel war auf seinen Rat hin geschehen. Aber die meisten standen noch da und würden auch da bleiben, weil sie sich nicht mehr zurückgeben ließen. Die Räume waren ein Vierteljahr im voraus bezahlt, und das war nützlich. Er hatte vor, zunächst hier zu bleiben. Vielleicht würde er ja doch noch einen Weg finden, die Firma zu retten. Die Aussichten darauf waren allerdings nicht sonderlich groß. Er ging in den hinteren Raum und warf einen kurzen Blick auf das vertraute Panorama. Er verließ das Balkonzimmer wieder, durchmaß den schmalen Flur, schritt durch die Diele und ging in sein Büro. Er setzte sich hinter den Schreibtisch, nahm sein persönliches Telefon- und Notizbuch hervor und rief einige Leute an, die eventuell Aufträge zu vergeben hätten. Tatsächlich stellte eine Firma in Krefeld einen Flug nach Spanien in Aussicht, gegebenenfalls in drei Wochen. Das war vorerst alles, aber für den Anfang nicht übel. Als nächstes rief er das Hotel «Corona» an: „Herrn Busch, bitte. – Nein, seine Zimmernummer weiß ich nicht. – Danke. – Busch? – Ah, Herr Fischer! Busch nicht da? – Nein, macht nichts. Herr Busch sagte, er hätte einen Auftrag für mich. Ich kann jetzt jeden gebrauchen. – Ja. – Gut. Ich komme in ungefähr einer Stunde. Sagen Sie Busch Bescheid? – In Ordnung. Bis dann."

Zur frühen Nachmittagsstunde traf Lukowsky im «Corona» ein. Er fragte am Empfang nach Fischer, nahm in einem der dunkelroten Sessel der Halle Platz und wartete. Am Nebentisch schäkerten zwei Geschäftsleute mit einer hübschen schwarzhaarigen Frau, an der alles nach Mannequin aussah. Es gab zurzeit eine Modemesse in der Stadt. Vor den Fenstern quälte sich ein Autofahrer in einem grünen Sportcoupé bei der Parkplatzsuche. Eine Telefonistin hüpfte zur Rezeption und rief zwischendurch einen Namen. Fischer kam. Er trug einen fliederfarbenen Anzug zum weißen Hemd und ein mit Arabesken gemustertes Seidentuch im Kragen. Seine gezierten Schritte führten ihn an Lukowskys Sessel. Man begrüßte sich höflich. Fischer blieb am Fenster stehen und sah zur Uhr: „Ich erwarte Herrn Busch jeden Moment, Herr Lukowsky." Nun setzte er sich, schlug die Beine übereinander und faltete die Hände: „Plaudern wir unterdessen ein wenig!" Lukowsky fragte: „Haben Sie eine Ahnung, wann’s losgeht? Bei mir ist nämlich einiges im Umbruch. Ihr Auftrag käme mir jetzt recht." Fischer warf einen fast sehnsüchtigen Blick aus dem Fenster und antwortete nach kurzem Zaudern: „Leider bin ich nicht in der Lage, Ihnen darauf bereits eine verbindliche Antwort zu geben. Aber ich denke, Sie werden recht bald fliegen können." – „Na fein!" Lukowsky lehnte sich bequem zurück: „Dann lassen Sie uns die Wartezeit nutzen. Einiges können Sie mir sicher schon sagen." Fischer sah ihn mit einiger Verwunderung an, zeigte dann aber ein Kopfnicken und sagte mit dem Ausdruck größter Selbstverständlichkeit: „O, ja, durchaus. Sie sollen ein U-Boot unter Wasser finden. Davon haben Sie ja schon einiges mitbekommen. Es ist ganz einfach. Wir wissen, das U-Boot ist in Küstennähe auf Grund gesetzt worden. Froschmänner haben Tarnnetze darüber angebracht, um die Entdeckung aus der Luft zu verhindern, doch diese Tarnnetze sind mit Sicherheit inzwischen weitgehend vermodert. Wenn man weiß, wo ungefähr das U-Boot auf Grund liegt, ist es von einem Flugzeug aus verhältnismäßig leicht zu finden – nicht so leicht, daß es jedem auffallen müßte, doch wenn der Pilot weiß, wonach er sucht, wird er es auch entdecken. Normalerweise überfliegt diese Stelle niemand. Es gibt auch keinen Sportflieger-Klub in der Nähe. Wir haben die genaue Information über den Lageplatz leider verloren. Den ungefähren kennen wir aber nun Dank Herrn Stephans Unterstützung, wie Sie ja wissen. Noch weitere Einzelheiten, was halt wichtig ist, wird Ihnen unser Freund Domenico Alotti an Ort und Stelle sagen. Mit ihm zusammen werden Sie das U-Boot finden können." Fischer fiel ein: „Ach, übrigens: zufällig wurde hier just ein Zimmer im selben Stockwerk frei, das wir bewohnen. Vielleicht möchten Sie dort vorübergehend einziehen? Wir könnten uns dann jederzeit verständigen." Lukowsky erwiderte: „Das wird nicht nötig sein. Ich bewohne ein Hinterzimmer meines Büros, das wird zumindest vorerst auch so bleiben." Fischer zeigte eine bedauernde Geste: „Wie Sie wollen." Lukowsky fragte: „Sind Sie schon lange mit Herrn Busch zusammen und den bewußten Dingen auf der Spur?" - „Das ist eine Frage der Relation", antwortete Fischers dünne, sorgfältig artikulierende Stimme: „Man könnte sagen, jawohl. Mit Unterbrechungen." – Lukowsky fragte weiter, ohne drängend wirken zu wollen: „Immer wegen der selben Geschichte?" Fischer blickte nun doch ärgerlich, er fühlte sich ausgefragt, aber seine Stimme blieb freundlich: „So ließe sich sagen, ja."

Busch schritt mit wehendem Mantel durch die Halle. Ihm folgte ein jüngerer Mann. Dieser war Mitte dreißig und eher dünn als schlank, jedoch nicht schmächtig. Der Mann trug einen hellbraunen Anzug und den beigen Regenmantel über dem Arm. Sein Gesicht unter mittelblonden Haaren hatte die strengen Züge klassischer, männlicher Schönheit. Busch trat als erster zu Fischer und Lukowsky, streckte die Hände vor und rief: „Na wunderbar! Die Herren unterhalten sich angeregt!" Sein Mienenspiel verriet beste Laune: „Tag, Tag! Herr Lukowsky! Ich darf Ihnen unseren Freund Ferdinand Löw vorstellen! Herr Löw weiß bereits über Sie Bescheid! – Aber setzen wir uns doch! Machen wir’s uns bequem!" Er nahm neben Fischer Platz. Löw blieb stehen: „Ich bedaure, mich im Augenblick nicht länger aufhalten zu können." Er sah Busch an: „Sie wissen..." - „Ach, natürlich!" Busch erhob sich flink: „Bitte entschuldigen Sie! Daran hatte ich im Moment gar nicht mehr gedacht!" Seine Rede richtete sich an Fischer und Lukowsky: „Ich bin gleich zurück! Muß rasch Herrn Löw ein paar Unterlagen übergeben! Seine Maschine nach München geht ja schon gleich!" Buschs rechte Hand winkte dem Fußboden zu: „Laßt Euch nicht stören...!" Er seufzte: „Ach! Es herrscht heute ein Durcheinander...!" Busch klopfte Löw leicht auf die Schulter und lief mit ihm zu den Fahrstühlen. Fischer erklärte beiläufig: „Herr Löw ist an unserem Projekt ebenfalls seit längerer Zeit interessiert. Allerdings mehr in mittelbarer Weise." Lukowsky mußte daran denken, daß Herr Ferdinand Löw offenbar auch mit einem gewissen Herrn Valtine in Verbindung stand. Er fragte: „Was verstehen Sie unter: in mittelbarer Weise?" „Nun", Fischers Hände kreisten vor seiner Brust: „Sein Interesse ist..., wie formuliere ich das..., es ist am ehesten mit dem eines Investors vergleichbar. Jedes größere Unternehmen bedarf der Finanzierung. So ist das nun einmal. Man bekommt nichts geschenkt. Idealismus ist keine verbreitete Tugend in der gegenwärtigen Epoche. Und selbst wenn man über eigene Mittel verfügen würde, wäre es ratsam. Diese in Reserve zu halten." Lukowsky sah Fischer an: „Sie würden sich als Idealisten bezeichnen?" Fischer antwortete mit Bedacht: „In gewisser Weise, Herr Lukowsky, ja! – Jetzt darf ich Sie fragen: Sie sind doch Berufsoffizier gewesen. Zuletzt Major der Luftwaffe, so weit ich weiß. Transportgeschwader 11. Wir haben uns gestattet, ein paar Erkundigungen einzuholen, so weit das möglich war – ich darf übrigens vermerken: Zu Ihrem Vorteil! Doch lassen Sie mich nun fragen: Empfanden Sie dabei Ideale? Ich meine, dachten Sie daran, Ihrem Vaterland zu dienen?" Darüber mußte Lukowsky nachdenken. Es lag noch nicht so viele Jahre zurück, in seiner Gefühlswelt aber ein Jahrhundert. Es fiel schwer, sich in seine früheren Empfindungen hinein zu versetzen. Schließlich antwortete er: „Ich glaube, ja. Jedenfalls anfangs. Ich ging zur Bundeswehr und zur Luftwaffe, weil mein Vater im Krieg dabeigewesen war. Mit Erzählungen über die Zeit von damals bin ich groß geworden. Ich las auch Bücher darüber. Flugzeugtypen wie die Me 109 oder die Fw 190 sind mir so vertraut, als hätte ich tausend Flugstunden auf ihnen hinter mir. Dabei habe ich diese Flugzeuge nie gesehen, beziehungsweise eine Me 109F nur einmal in einem amerikanischen Museum." Fischer schien das zu gefallen. Er begann in dozierendem Tonfall: „Die Me 109 war eine geniale Jägerkonstruktion, wenn auch nicht ohne Probleme. Sie zu beherrschen, verlangte einen gutausgebildeten Piloten. Die israelische Luftwaffe benutzte noch einen tschechischen Nachbau der Me 109, und in Spanien wurde sie bis um 1960 hergestellt. Aber sie war schwierig zu fliegen. So lange die Pilotenausbildung gut und gründlich erfolgte, war alles in Ordnung. Gute Flieger konnten mit der Me 109 viel anfangen. Ab 1943 aber wurde die Ausbildung bei der Deutschen Luftwaffe schlecht, vor allem wegen des Treibstoffmangels. Außerdem wurden nötige konstruktive Verbesserungen zu lange hinausgezögert. Die Me 109 war ja eine Konstruktion aus dem Jahre 1933, der Erstflug fand 1934 statt. Sie war also im Krieg dann schon verhältnismäßig alt, viel älter als die von den Gegnern eingesetzten Maschinen. Und die geringe Reichweite blieb ein Problem." Es war Fischer anzumerken, daß hier einer seiner persönlichen Interessensschwerpunkte berührt wurde. Er trug eifrig weiter vor: „Leider hatten wir die moderneren Heinkel-Jäger schon vor Kriegsbeginn an das Ausland verkauft. Die He 112, beziehungsweise He 113, wurde, zusammen mit dem schnellen Postflugzeug He 70, zur Grundlage der britischen Spitfire. Sie hatte das ganz unverkennbar typische Heinkel-Tragwerk. Dazu kam manches, was bei der Me 109 abgeguckt war, etwa die Wasserkühler unter den Tragflächen. Die Engländer waren klug genug, die Überlegenheit der deutschen Jagdflugzeugkonstruktionen zu erkennen und sie sich zum Vorbild zu nehmen. Die Deutschen indes waren zu blöde, die englische Überlegenheit bei den Motoren wahrzunehmen und zu nutzen. Die Engländer waren dagegen sogar sehr offen gewesen. Sie boten uns 1937 ein Geschäft an: Die Lizenz des Schnellflugzeugs He 70 gegen die Lizenz des Merlin-Motors. Das wäre ein gutes Geschäft gewesen, denn die He 70, wie auch andere deutsche Flugzeuge, konnte man auf dem freien Markt kaufen, die Engländer kriegten sie also auf jeden Fall. Der Merlin von Rolls Royce war damals der beste Flugmotor der Welt. Auch die Amerikaner bauten ihn in Lizenz, auch wenn gesagt werden muß, daß Packard diese Konstruktion noch erheblich verbessert hat. Da wir zu dieser Zeit schon Benzineinspritzung hatten, wäre unsere Version nochmals besser gewesen. Der Versailler Vertrag hatte die deutsche Motorenentwicklung ja zwischenzeitlich ganz abgewürgt. Es dauerte bis Mitte 1943, diese Lücke zu schließen. Da hatten wir aber schon Düsentriebwerke und hätten die Kolbenmotoren eigentlich nicht mehr gebraucht. Den Merlin-Motor zu haben, wäre von großem Vorteil gewesen, er war der PS/Kg-Leistung unseren damaligen Motoren deutlich überlegen. Die Spanier bauten ihn später in Ihre nachgebauten Me 109 ein. Leider wurde das Angebot der Engländer aus politischen Gründen ausgeschlagen. Die überlegenen deutschen Flugzeugkonstruktionen zusammen mit dem hervorragenden englischen Merlin-Motor plus deutsche Benzineinspritzung, das wäre damals unübertrefflich, ja, unerreichbar gewesen."

Fischer zeigte eine resignierende Geste mit beiden Händen: „Fehler zu machen war die Spezialität der seinerzeitigen Regierung! Da spielte viel dumme Politik mit. Willy Messerschmitt war der Führung sympathischer als der alte Monarchist Ernst Heinkel. Der hatte aber mit der He 100 einen weit überlegenen Jäger geschaffen. Diese He 100 war schneller als die Me 109. Weil aber schon die Entscheidung gefallen war, daß die Messerschmitt AG den Auftrag zur Produktion des deutschen Standardjägers erhalten sollte, mußte Messerschmitt dagegenhalten. Es kam zu einem Geschwindigkeitsrekord-Duell zwischen Messerschmitt und Heinkel. Unter fairen Verhältnissen hätte Heinkel gewonnen. Es sollte ja nicht zuletzt ein Wettbewerb zwischen serienfähigen Jagdflugzeugen sein. Mit der Me 109 war die He 100 nicht zu schlagen. Messerschmitt baute die Me 209 und stellte mit ihr den noch heute gültigen Geschwindigkeitsweltrekord für Propellerflugzeuge auf: 755 Stundenkilometer. Dieses Rekordflugzeug war nicht in der Lage gewesen, eine solche Geschwindigkeit länger durchzuhalten, war also für die Praxis ganz unbrauchbar. Aus Gründen der Propaganda wurde diese Me 209 dann als Me 109R. In Wahrheit hatte die Rekordmaschine mit dem deutschen Standardjäger, damals die Me 109E, so gut wie nichts gemein. Heinkel wollte mit der He 100 erneut antreten und auch den Rekord der Me 209 überbieten, doch das verbot die politische Führung; der Rekord sollte bei Messerschmitt bleiben. Heinkel wurde mitgeteilt, er solle seine Jäger gegen Devisen ins Ausland verscheuern, was dann auch geschah. Die He 100 wurde unter anderem zur konstruktiven Basis der amerikanischen P-51, die unter dem Namen «Mustang» bekannter ist und zu Recht berühmt wurde. Dazu kam noch, daß ein vormals leitender Messerschmitt-Ingenieur, Dr. Schmued, zur Firma «North American Kindelberger» in die USA ging, wo er unter Hinzunahme zahlreicher Me 109-Anleihen und der Flügelform der Me 209 eben die P-51 «Mustang» schuf. Angetrieben wurde sie von der bei Packard gebauten Lizenz-Version des Merlin-Motors. In der «Mustang» vereinigten sich die Ideen der beiden weltbesten Jagdflugzeugkonstruktionen, die der Me 109 und He 100. Das Resultat, die P-51 «Mustang», ist unser gefährlichster Gegner in der Luft geworden, man kann sagen, sie hat den Kampf um die Luftherrschaft endgültig entschieden, obwohl auch die P-47 schon bemerkenswert war. Später wurde ihr eine tropfenförmige Plexiglaskanzel aufgesetzt, was ihr Aussehen veränderte. In ihrer ursprünglichen Form aber war die «Mustang» der Me 109 derart ähnlich, daß es andauernd zu Verwechslungen zwischen Freund und Feind kam. Alles in allem, das muß gesagt werden, war die P-51 das bessere Flugzeug, sie wurde ja auch viel später konstruiert als die Me 109, die aber, ganz objektiv, eben ihre Schwächen hatte, vor allem die am zahlreichsten gebaute Version, die Me 109 G6, bei der hatte Speer, um zu sparen, unter anderem das seit der F-Version einziehbare Spornrad gegen ein starres austauschen lassen. Das minderte die Geschwindigkeit, und so war die Me 109 zur Zeit der entscheidenden Luftkämpfe der amerikanischen Thunderbolds und Mustangs noch ärger unterlegen. Als ganz zuletzt die K-Version kam, hatte diese Me 109-Variante wieder die Nase vorn, doch da war längst alles verloren, und es hatten auch weitaus fortschrittlichere Konstruktionen zur Verfügung gestanden. Die Ähnlichkeit zwischen der Me 109 und der Mustang führte übrigens zur Zebrabemalungen der feindlichen Flugzeuge. Diese war anfangs nur für die «Mustang» gedacht, um eben Verwechslungen mit der Me 109 zu vermeiden."

Fischer hatte sich in Eifer geredet. Mit zornrotem Kopf sprach er weiter: „Nirgends sind so viele Fehler gemacht worden wie ausgerechnet in der deutschen Luftrüstung! Es war eine Tragödie! Wir hätten die Luftüberlegenheit nie zu verlieren brauchen, nie! – und damit nicht den Krieg! – wäre unser technischer Vorsprung genutzt worden. Ich kann deswegen noch heute in Wut geraten, wenn ich darüber nachdenke! Die gleiche Inkompetenz gab es hinsichtlich der U-Boote, der neue Typ XI hätte zwei Jahre früher an der Front sein können!

Mit einer nicht so dummen Regierung, wäre alles anders gekommen! Unsere Feinde konnten sich freuen, daß bei uns die Nazis herrschten mit ihrer unaussprechlichen Dummheit! Hätten wir eine intelligentere Führung gehabt, wäre alles anders ausgegangen. Aber die verbreitete Vorstellung von einer angeblich perfekten Kriegsmaschinerie und so weiter ist blanker Unsinn! Deutschland war in den ganzen sechs Jahren nie voll kriegsbereit!" Fischer redete sich weiter emotional in die Höhe: „Gekommen wäre der Zweite Weltkrieg so oder so. Das war Absicht, dafür sorgten die Verträge von St.Germain und Versaille. Die Westmächte wollten einen so starken unabhängigen Wirtschaftskonkurrenten wie das damalige Deutschland auf alle Fälle vernichten. Sie rüsteten gezielt auf einen Konflikt hin. Sie bauten ihre strategischen Bomber, was Deutschland versäumte. Dabei hatten wir auch da anfänglich einen Vorsprung. Aber die Prototypen unserer viermotorigen Langstreckenbomber wurden auf höchsten Befehl hin verschrottet. Man meinte, so etwas nicht zu brauchen, weil es ja keinen Krieg geben werde! Diese Narren, wenn’s nicht sogar bösartige Absicht war!"

Fischer gestikulierte und stieß hervor: „Absurd! Die Westmächte rüsteten ganz offensichtlich systematisch auf diesen Krieg hin! Im Sommer 1936 legte Admiral Canaris dazu eine umfangreiche und sehr fundierte Studie vor. Wären die Westmächte 1938 schon so weit gewesen, hätte es statt eines Münchner Abkommens Krieg gegeben. Aber sie hatten Geduld! Sie wollten erst unseren technischen Vorsprung zum mindesten so weit aufholen, daß den Rest ihre größere Masse besorgen konnte. Mitte 1940 wäre ihre Rüstung so weit gewesen, daß es auch die deutschen Anfangserfolge nicht gegeben hätte. Churchill hatte schon 1938 ganz offen ausgesprochen: Deutschland solle vernichtet werden, ganz gleich ob da Diktatur, Monarchie, Demokratie oder was sonst für eine Staatsform herrsche, wie er sich ausdrückte. 1939 und 1940 hatten wir noch den Vorteil überlegener Jagdflugzeuge. Im Luftkampf waren sie ganz hervorragend, auch wenn es ihnen an Flugdauer fehlte. In der sogenannten Luftschlacht um England hat der Gegner doppelt so viele Flugzeuge verloren wie Deutschland; von einem englischen Sieg konnte also in Wahrheit gar keine Rede sein. Der Kampf wurde nur im falschesten Moment von uns beendet, das schreibt sogar Churchill in seinen Memoiren. Den britischen Luftstreitkräften war schon beinahe das Rückgrat gebrochen. Hätten wir Flugzeuge mit größerer Reichweite gehabt, wäre England sowieso erledigt gewesen. Das wußten die Engländer auch sehr gut. Doch sogar ohne viermotorige Bomber hätten wir das geschafft, dank der besseren Jäger. England mußte seine Hauptstadt London verteidigen, und die lag in der Reichweite auch unserer kleinen Bomber. Die waren allerdings nicht besonders gut. Unser Standardbomber, die He 111 war zwar ästhetisch schön, aber ein umgebautes Passagierflugzeug, für den Krieg zu langsam und daher ohne Jagdschutz verloren. General Galland forderte damals Zusatztanks für die Me 109, damit sie länger als bloß fünfzehn Minuten über London sollte kämpfen können. Dann wäre der Gegner gezwungen worden, sich andauernden Luftkämpfen zu stellen, denen sie nicht gewachsen waren. Die Me 109 war nicht nur der Hurricane, sondern auch der neuen Spitfire überlegen, sie war schneller und konnte die Spitfire vor allem jederzeit übersteigen. Die hohen Abschußzahlen der deutschen Jagdflieger sind also kein Zufall gewesen, mehr Deutsche haben über hundert Gegner abgeschossen, als die anderen zehn deutsche. „Wir hatten viele technische Vorteile auf unserer Seite. Hätte die Me 109, und dann auch die Fw 190, damals schon Zusatztanks erhalten, wie endlich 1944, so wäre allein dieser Faktor ausreichend gewesen, einen Friedensschluß zu erzwingen!" Fischer hatte sich vollends in Rage geredet und fuhr erhitzt fort, gerade so als sei das Jahr 1940 und er stehe an der Kanalküste neben Adolf Galland, dem General der Jagdflieger: „Erst später gelang es den Engländern, die Spitfire so weit zu verbessern, daß sie der Me 109 gleichwertig war. Als um 1943 die neu konstruierten amerikanischen Jäger P-47 und P-51 kamen, erlangte der Feind neben der quantitativen, auch die qualitative, kriegsentscheidende Überlegenheit in der Luft. Aber auch das hätte vermieden werden können, wenn wir die Me 109 und die Fw 190 rechtzeitig verbessert hätten. Dies wäre leicht möglich gewesen, denn die beiden Jäger besaßen ein größeres konstruktives Potential als alle feindlichen außer der «Mustang», wie sich zeigte! Doch die regierenden Parteiherrschaften machten alles, alles falsch! Offizierskorps und Industrie redeten da vergeblich in lauter taube Ohren! Diesen Parteilingen ging es immer nur darum, nach oben möglichst hohe Stückzahlen vermelden zu können. Eine Umstellung auf neue Typen hätte naturgemäß kurzfristig zum Rückgang der Produktionszahlen geführt. Darum blieb man bei den Alten! Unverantwortlich! Ein Verbrechen gegen das Volk! Messerschmitt hielt eine neue Me 209 bereit, de facto eine Umarbeitung der Me 109, und Dornier bot die revolutionäre Do 335 – alles vergebens. Erst Ende 1944 kam wenigstens die überarbeitete Fw 190D, die allen Gegnern überlegen war. Aus dieser wurde die Ta 152 entwickelt – aber zu spät. Und Anfang 1945 kam die Me 109 K, dann wieder das beste Jagdflugzeug am Himmel – nach der berühmten Me 262, dem ersten Düsenjäger." Fischer fuchtelte aufgeregt mit beiden Händen herum: „Und der hätte spätestens Mitte 1943 an der Front sein können...! Dann wären wir unbesiegbar gewesen! Überhaupt diese Düsenjäger-Tragödie! Schon vor dem Krieg flog mit der He 138 das erste Düsenflugzeug der Welt in Deutschland. Es wurde ignoriert. Heinkel baute 1940 aus Eigeninitiative die He 280. Sie wurde ihm weggenommen und der Messerschmitt AG gegeben, denn der war versprochen worden, einen eventuellen neuen Jäger zu produzieren. Messerschmitt baute die hervorragende Me 262. Sie war wirklich noch besser als die He 280. Der Erstflug der Me 262 erfolgte schon 1941! Doch auch diese Riesenchance wurde vertan... Es ist zum Heulen! Einfach zum Heulen! Wir hatten alle Trümpfe in der Hand – und nutzten keinen!"

Fischer saß da mit rotem Kopf und vor Wut geweiteten Augen: „Wir hätten die Luftherrschaft nie zu verlieren brauchen, niemals! Das heißt im Klartext: Abermillionen deutscher Zivilisten wären nicht der systematischen Massenvernichtung durch alliierte Bombenangriffe auf unsere offenen Städte zum Opfer gefallen, und – schlicht und einfach: Wir hätten den Krieg nicht verloren!" Fischer legte eine Pause ein. Er schöpfte Atem und sagte mit geheimnisvoller Nachdrücklichkeit: „Und, Herr Lukowsky, dabei gab es sogar noch ganz andere Chancen, noch ganz, ganz andere, von denen Sie gar nichts ahnen – nicht bloß die Raketen, wie die V2 – es gab noch andere Chancen, von denen nur wenige wissen!" Fischer hatte sich während seines Vortrags hoch im Stuhl aufgerichtet. Jetzt lehnte er sich zurück. Es war unübersehbar, wie sehr ihn der besprochene Themenkreis bewegte. Lukowsky steckte sich eine Zigarette an und sagte: „Einiges von dem, was sie gerade erzählten, weiß ich auch. Ich glaube, sie haben sicher Recht, Herr Fischer. Leider ist es zu spät, daran noch etwas ändern zu wollen." Fischer sah ihn mit einem sonderbaren Glänzen in den Augen an, in dem verhaltene Begeisterung lag, womöglich auch ein Hauch von Wahnsinn. Aber dieser beinahe geckenhaft gekleidete Mann gewann auf einmal eine kraftvolle Ausstrahlung, und die milden Züge seines Gesichts wirkten nun gar nicht unmännlich. Fischer erhob eine seiner Hände, deutete auf Lukowskys Brust und sprach betont langsam: „Das, Herr Lukowsky, ist falsch! So darf man nicht denken! Geschichte ist ein Prozeß von unablässiger Dynamik, sie steht niemals still, sie ist nie zu Ende, es ist nie zu spät, ihr eine Wendung zu geben! Der sogenannte Weltkrieg war nicht mehr als eine Schlacht auf dem Weg in das Neue Zeitalter, und sicher nicht die entscheidende!" Lukowsky zog an seiner Zigarette und sah Fischer an. Er erkannte, daß sich im Kopf des Mannes ihm gegenüber weitreichende Gedanken übereinander türmten und umeinander drehten. Und dieser Mann wusste von vielem mehr als er. Er sagte: „Ich bin in der jüngeren Geschichte nicht gut bewandert. Nach dem, was ich so weiß, denke ich, der Mann, der Deutschland gut hätte führen können, wäre vielleicht Walther Rathenau gewesen. Wäre er nicht ermordet worden, dann hätte die Geschichte vielleicht einen besseren Verlauf genommen." Fischer nahm seine immer noch erhobene Hand zurück. Er nickte bedächtig mit dem Kopf und sprach sinnierend: Rathenau... Ja, ja, der war ein Patriot! Aber..." Fischers Hand erhob sich wieder auf halbe Höhe, seine Stimme senkte sich: „Aber: Das wahre Dritte Reich!" – In Fischers Augen flimmerten wieder Irrlichter. Lukowsky wunderte sich: „Ich denke, Sie halten die Nazis für Pfeifen?" – Fischer nickte eifrig mit dem Kopf: „Ja, ja! Die kriminell-blöden Nazis...!"

Nun kam Busch und ersparte Lukowsky damit einen Ausflug ins Unbegreifliche. Busch warf seinen Mantel über einen freien Sessel, stellte einen schwarzen Aktenkoffer dazu und nahm mit einem behäbigen: „Soo!" Platz. Lukowsky fragte: „Nun, Herr Busch, wissen Sie inzwischen ungefähr, wann ich losfliegen kann?" Busch erwiderte in blendender Stimmung: „Nicht ungefähr, sondern genau, Herr Lukowsky! Soeben wurde alles Nötige in die Wege geleitet." Er breitete mit einer gönnerhaften Geste die Hände aus: „Sie können jederzeit aufbrechen – jederzeit!" Busch hob den Aktenkoffer auf den Schoß, ließ die Schlösser klackend aufspringen und lächelte selbstgefällig in sich hinein: „Hier... hätten wir also Ihre Papiere. Die können Sie gleich an sich nehmen!" Er reichte Lukowsky ein großformatiges Kuvert: „Sie werden als erstes unseren Freund Domenico Alotti in Toulon treffen. Er wird die Einzelheiten mit Ihnen durchgehen. Ich könnte Ihnen jetzt etwas erzählen – aber das besorgt Alotti viel besser als ich. Er spricht übrigens recht passabel Deutsch!" Lukowsky sagte: „Ich kann auch ein bißchen Italienisch." Busch staunte: „Hervorragend!" Er klappte den Kofferdeckel zu und sah den beiden anderen Männern abwechselnd erwartungsvoll in die Augen: „Und außerdem – ja, außerdem ist unser Budget komplett!" Seine rechte Hand fiel klatschend auf das schwarze Leder des Kofferdeckels: „Herrschaften: An die Geschütze! – Auf die Pferde! – Leinen los!"

Die Sonne flimmerte fahl über dem leichten Nebel. Der Morgen war noch früh. Lukowsky saß hinter dem Tisch des kleinen Schuppens am Flugfeld, der vielleicht bald keine Aufgabe mehr erfüllen würde. Aber das war noch nicht endgültig entschieden. Die rote Weckuhr auf der Tonne links des Tisches war stehengeblieben. Lukowsky zog sie auf und stellte die Zeiger. Er rührte in einer Tasse mit selbstbereitetem Kaffee. Durch die Fenster fiel der Blick auf das startbereite Flugzeug. Eine zweimotorige Piper. Nicht mehr das neueste Modell, aber gut und in der Miete sehr preiswert. Ein paar Spatzen hatten sich auf dem Metallschwanz ihres fremdartigen Verwandten niedergelassen und blinzelten in die Sonne. Sonst regte sich draußen nichts. Lukowsky blickte aus dem Fenster und machte es wie die Vögel auf dem Leitwerk des Flugzeugs. Die Sonne hatte sich entschlossen, mit voller Kraft genau durch das kleine Fenster des Schuppens hinein zu scheinen. Lukowsky sortierte Papiere, Unterlagen, die in Aussicht auf ein Gelingen der Firma vorbereitet worden waren. Beim Lesen kleiner Schriften fiel ihm auf, daß er irgendwann eine Brille brauchen würde. Aber noch war es nicht so weit. Nach einem schwachen Klopfen ging die Wellblechtür auf. Cornelius erschien, diesmal ohne Begleitung. Er stand im Türrahmen, leicht gebückt, weil der Eingang niedrig war, und vergrub die Hände in den Manteltaschen. „Morgen!" hörte Lukowsky den Mann in der Tür sagen: „Kann ich ‘reinkommen?" Lukowsky sah zu ihm. Seine Gedanken suchten nach irgendeinem beißenden Wort. Aber der Mann im Türrahmen bot auch so einen zerknitterten Eindruck. Lukowsky nickte nur: „Kommen Sie ‘rein. Heute halbe Privatvisite?" Cornelius schloß die Tür hinter sich, nahm die Hände aus den Taschen und rieb sie aneinander als fröstelte ihn, obwohl es nicht kalt war: „So könnte man’s nennen. Sie waren’s übrigens nicht – ich meine, mit diesem Brünner. Wir erfuhren, daß Sie zur maßgeblichen Zeit gerade mit der Flugsicherung telefonierten. Da muß Brünner ziemlich weit entfernt von ihrem Büro umgelegt worden sein. Ja, aber was soll‘s! Wir haben von Anfang an nicht an Sie als Mörder geglaubt." Lukowsky blickte auf: „Warum kamen Sie mir dann so blöd?" Cornelius hob und senkte resigniert die Schultern: „Wegen der Üblichkeit. Es ist nun mal nicht anders. Außerdem: Sie hätten’s ja doch gewesen sein können. Was werden Sie jetzt machen? Hier geht’s nicht weiter?" – „Hier geht’s vielleicht doch weiter. Ist noch nicht raus. So lange wir leben, haben wir Chancen, " entgegnete Lukowsky: „Ein altes Schlachtroß läßt sich nicht so schnell unterkriegen." - „Sie haben ganz Recht. Schlechten Ereignissen soll man nicht nachhängen", bemerkte Cornelius schlaff: „Bringt ja alles nichts ein." – „Ich hab’ keine Lust, über die Dinge allzuviel nachzudenken", erwiderte Lukowsky und deutete auf den zweiten Stuhl: „Setzen Sie sich, falls Sie wollen. Da, Clubsessel kann ich leider nicht bieten." Cornelius nickte dankend und setzte sich. Er legte den Unterarm auf die Tischplatte: „Ja, weshalb ich noch mal komme – wo sind Sie denn nun zukünftig zu erreichen? Weiterhin hier, beziehungsweise in dem Büro? Könnte schließlich noch Fragen wegen des Flugzeugabsturzes geben. Man weiß ja nie." Lukowsky bemerkte, daß Cornelius dies nur aus Verlegenheit gesagt hatte und noch überlegte, mit etwas anderem herauszurücken oder nicht. „Erstmal bleibt alles so wie es ist", sagte Lukowsky: „Ich will probieren, es alleine zu schaffen. Die Aussichten sind nicht großartig, aber ich gebe nicht so leicht auf. Unsere Maschine hat man noch immer nicht gefunden?" Cornelius strich sich mit dem Zeigefinger über den Nasenrücken: „So viel ich weiß, nicht. Nur ein paar Trümmer. Der Apparat muß sich ja über die halben Alpen verteilt haben..." Er sah Lukowsky an: „Bitte entschuldigen Sie die rohe Ausdrucksweise, es war nicht..." - „Schon gut", winkte Lukowsky ab: „Mögen Sie eine Tasse miesen Kaffee?" – „Danke gern", kam es zurück: „Bin auch so ‘n Junggeselle, der nie ein richtiges Frühstück kriegt." Lukowsky schenkte eine Tasse aus der Thermoskanne ein. Cornelius nahm die Tasse in Empfang: „Danke, danke!" Er trank einen Schluck und meinet: „So mies ist der gar nicht! Müßten Sie meinen Selbstgebrauten kennen – erbärmlich!" Er trank, bot Zigaretten an und gab Feuer. „Wissen Sie," Cornelius schüttelte den vorgebeugten Kopf mit einer bitteren, selbstironischen Miene: „Vor zwanzig Jahren hab’ ich mir vorgestellt, ein berühmter Held zu werden, von dem alle Zeitungen schreiben und der sich später nur noch um die Wehwehchen von Filmstars kümmert, wie man das in saublöden amerikanischen Filmen sehen kann. Als ich von diesen Kindereien geheilt war, wollte ich bloß noch Polizeipräsident werden, vielleicht auch Politiker. Na, und am Ende wurde dieser Kerl aus mir!" Er ballte die Faust über der Tischplatte und sah Lukowsky mit verkniffenen Augen an: „Bei uns darf die Polizei nur den Kopf hinhalten! Wenn bei einer Schießerei ein Polizist umgebracht wird, war er ein guter Polizist! Wehrt er sich aber und erschießt solch einen armen, milieugeschädigten Mörder, dann ist er ein ganz schlechter Polizist, ein Faschist und was sonst nicht noch alles! Und falls der Verbrecher ein Ausländer war, ist gleich alles vorbei. Dann hetzt einem die Pressemeute, und diese Pamphletteure, die sich Journalisten nennen, samt aller Fernsehschwätzer, denn Fremde haben in unserem Staate mehr Rechte als wir Einheimischen." Cornelius hob den Zeigefinger und neigte den Kopf noch tiefer: „Ich hab’ mir daraufhin von meinem eigenen Geld ‘nen Korth .357 Magnum gekauft. Soll das Beste sein, was es gibt. Jedenfalls das Teuerste. Wie ich das Ding zum Einsatz mitnahm, kriegte ich Krach mit meinem peniblen Vorgesetzten, der sowieso nur in der Schreibstube als Sesselfurzer, wie Arbeiter solche oft nennen, herumhockt und sich Kaffee servieren läßt." Cornelius zerquetschte seine Zigarette und steckte eine neue an: „Maurer, Zimmermann, Bäcker, Schornsteinfeger – jeder andere Beruf ist besser, sage ich Ihnen! Wir rühren Tag für Tag und Nacht für Nacht im Morast und gehören bald selber zu dem stinkenden Brei." Er kniff wieder die Augen zusammen: „Ich weiß nicht, ob ich nicht manchen Ganoven innerlich näher stehe als diesen klugscheißenden Herren Vorgesetzten. Wir Polizeibeamten sind eben generell nichts wert, uns kann man reihenweise abknallen oder in die Luft sprengen! Wir haben stillzuhalten. Ausgenommen, wenn ein dummer Junge ein Hakenkreuz an eine Lokuswand kritzelt, ohne zu wissen, was das ist, oder wenn einer verbotene Bücher hat. Solche Typen müssen wir niedermachen, die dürften wir sogar ohne Anruf erschießen, da gibt es dann keinen Ärger. Aber wenn ein Ausländer Kindern Rauschgift verpaßt, jemanden aufschlitzt oder eine Frau vergewaltigt, da müssen wir vorsichtig sein, unbedingt die Samthandschuhe anziehen! Das Fernsehen verschweigt das sowieso und in den Zeitungen steht es irgendwo ganz winzig versteckt, höchstens mit einer Lupe lesbar. Aber wehe, ein Polizeibeamter wehrt sich seiner Haut! Dann ist er gleich ein böser Faschist! So ist das, Herr Lukowsky! Und für all das werden wir so großzügig entlohnt, daß eine Polizistenwitwe kein leichtes Leben hat! Das erzähle ich Ihnen, damit Sie mein rüdes Verhalten verstehen. Bosheit erzeugt wieder Bosheit. Ich kannte Sie ja nicht, wußte nicht, daß..., " – seine Stimme sank: „...daß Sie auch nur ein armer Hund sind." Er hieb kräftig mit der Faust auf die Tischplatte und erhob sich: „Schieben Sie mal rund zwanzig Jahre Dienst für eine längst nicht mehr vorhandene Gerechtigkeit, sehen Sie statt dessen alle Tage überall die Ungerechtigkeit, dann werden Sie begreifen... Zum Beispiel: Wenn ich einen Mörder oder Vergewaltiger aus dem Gefängnis herausließe, und der mordet oder vergewaltigt wieder, würde ich wegen Beihilfe verknackt. Klar, vollkommen OK. Wenn’s aber die Herrschaften liberalen Gesetzgeber tun, dann sind die eben: tolerant! - Nach Toleranz ruft immer, wer sie selber nötig hat! Ich brauche keine!" Er ging zweimal zwei Schritte in dem winzigen Raum auf und ab und blieb dann dicht vor Lukowsky stehen: „Eines wollte ich Ihnen noch sagen – oder eigentlich zwei Sachen, Herr Lukowsky. Sozusagen unter armen Hunden. Erstens, im Umfeld dieser Angelegenheit geht es um mehr, als Sie denken. Näheres kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich selbst nicht viel weiß, nur: Dahinter steckt mehr. Dieser Brünner stand auf der Payroll einer gewissen amerikanischen Institution mit drei Buchstaben im Namen, die in unserer ach so souveränen Republik macht was sie will, genannt CIA. Zweitens, es gab einen Eberhard Jörgens, im Zweiten Weltkrieg Canaris-Mann und hochgradiger Geheimnisträger. Hat sich vor fünf Jahren erschossen. Eindeutig Selbstmord. Aber die Motive blieben im Dunklen. Ich leitete damals zufällig die Untersuchung, sonst wäre ich jetzt nicht auf die etwaigen Zusammenhänge gekommen. Da gab und gibt es Dinge aus Adolfs Zeiten, denen die Amis noch immer hinterherlaufen. Dieser Jörgens ist nach dem Krieg nicht willens gewesen, mit den Besatzern zu kooperieren. Weil er aber kein großer Nazi war, konnte man ihm nicht viel anlasten. Er hat einen sehr cleveren Sohn und eine sehr schöne Tochter. Die Tochter soll ihrem Vater besonders nahegestanden haben. Sie ist wirklich eine Schönheit, aber inwendig hart wie Kruppstahl. Aus ihr war nichts herauszubekommen, noch weniger als aus dem Sohn. Ich weiß nicht im einzelnen, worum es da ging. Vielleicht hat Jörgens seinen Kindern Informationen hinterlassen. Dann vielleicht am ehesten der Tochter. Im Umfeld wurde gemunkelt, die beiden hätten ein Verhältnis miteinander gehabt. Der Vater mit der Tochter. Sie verstehen? Aber das muß nicht stimmen. Mir erschien es nicht glaubwürdig. Doch was weiß ich! Auf alle Fälle, es soll noch immer einen Geheimbund geben, der nicht ungefährlich ist – aus Sicht derer, die bei uns zurzeit oben sind. Canaris soll diesen Geheimbund gegründet haben. Das ist mehr als ein Gerücht. Sie wissen, wer der Mann war?" Er sah Lukowsky abwartend in die Augen. Dieser sagte: „Ich weiß, wer Admiral Canaris gewesen ist. Aber ich weiß noch nicht, warum Sie mir das erzählen. Dafür denke ich mir, dies ist der eigentliche Grund Ihres Besuchs. Alles vorher war bloß Ouvertüre." Lukowsky erhob sich vom Stuhl und stand nun dem anderen gegenüber, der einen halben Kopf kleiner war als er. Nach ein paar Sekunden des Zögerns, platzte Cornelius heraus: „Sie und ich, wir haben was gemeinsam: Wir beide könnten einmal die Gunst der Stunde gebrauchen, die uns zu etwas bringt. Es geht um sehr viel – auch um viel Geld!" Lukowsky steckte sich in aller Ruhe eine Zigarette an. Er beobachtete die zunehmende Ungeduld bei Cornelius. Lukowsky sagte: „Ich bin nicht geldgierig." - „Ich auch nicht!" behauptete Cornelius energisch: „Nicht so extrem, wie das eben vielleicht geklungen hat! Aber ich schlage ihnen jetzt etwas vor – und es stimmt, deswegen bin ich gekommen, war mir bloß nicht ganz sicher, mit wem ich es bei Ihnen zu tun habe. Mein Vorschlag: Ich kümmere mich um Informationen. Ich kann unauffällig dienstliche Verbindungen nutzen. Dafür beteiligen Sie mich." Cornelius’ Augen nahmen einen halb unsicheren, halb lauernden Ausdruck an. Lukowsky fragte: „An was?" Cornelius hob einen Zeigefinger und stach damit in die Luft: „An dem, was Sie finden! Von dem Zeug, das der alte Canaris versteckt hat, um die Entstehung eines neuen Großdeutschen Reiches zu finanzieren! Tun Sie doch nicht so, als wüßten Sie von nichts! Ich weiß, welche Leute Sie getroffen haben!" Lukowsky betrachtete die Zigarette zwischen seinen Fingern und dann wieder den stämmigen rotblonden Mann, der ihm mit lauerndem Blick gegenüberstand. Cornelius trat von einem Fuß auf den anderen, er betonte: „Ich bin fair!" Er zog eine Visitenkarte hervor, knickte diese leicht, so daß sie sich auf die als Ablage dienende Blechtonne stellen ließ: „Auf der Rückseite steht meine Privatnummer." Lukowsky überlegte nicht lange. Er konnte Cornelius nicht recht einschätzen. Es erschien ihm klug, ihn nicht einfach rauszuwerfen. Er sagte: „Vielleicht rufe ich Sie an." Cornelius’ Hand streckte sich Lukowsky entgegen: „Machen Sie’s gut! – Und hüten Sie sich vor schwarzem Sonnenbrand!" Lukowsky verstand diese Anspielung nicht. Er fragte: „Tickts bei Ihnen jetzt nicht richtig?" Cornelius zeigte ein listiges Grinsen: „Sie wissen ja wirklich noch nicht viel! Ich werde Ihnen sehr nützlich sein!" Lukowsky erwiderte den festen Händedruck. Cornelius nickte zufrieden und verließ den Schuppen.

Draußen schlug eine Autotür. Ein Dieselmotor sprang an. Cornelius fuhr davon. Am Himmel heulte eine Düsenmaschine. Wie Rückenflossen großer Fische hinter dem Horizont reckten sich die Leitwerke von Verkehrsflugzeugen über Sträucher und Mauern im Hintergrund. Unendlich fern schien die Silhouette des Flughafens zu sein und gänzlich unverwandt Lukowskys erbärmlichem Schuppen. Und trotzdem besaß dieser Schuppen etwas, was dem großen Flughafen fehlte: Charakter. Das Telefon klingelte. Lukowsky empfand einen Ruck, der durch sein Innerstes ging. Er hoffte, Vera rufe an. Aber es war Fischer. Fischers Stimme tönte aus der Hörmuschel: „Gut, daß Sie noch da sind! Wir müssen uns treffen..."

       
               
               
     

       
               
               
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